Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_237/2025 vom 4. August 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts vom 4. August 2025 (Az. 4A_237/2025) detailliert zusammen.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_237/2025 vom 4. August 2025

1. Einleitung Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts befasst sich mit einer Beschwerde in Zivilsachen gegen den Beschluss des Handelsgerichts des Kantons Aargau, welcher ein Ausstandsgesuch gegen einen Oberrichter abwies. Die Kernfrage ist, ob ein Richter aufgrund seiner Äusserungen an einer gerichtlichen Vergleichsverhandlung, insbesondere hinsichtlich seiner vorläufigen Einschätzung der Prozesschancen ("mit Sicherheit", "in jedem Fall etwas hängen bleiben"), als befangen im Sinne von Art. 47 Abs. 1 lit. f ZPO in Verbindung mit Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu gelten hat.

2. Sachverhalt Die B._ AG (Klägerin, weitere Verfahrensbeteiligte) reichte beim Handelsgericht des Kantons Aargau eine Klage gegen die A._ AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) auf Zahlung von Fr. 109'877.20 nebst Zins ein. Der Präsident des Handelsgerichts, Oberrichter Meinrad Vetter (Beschwerdegegner), lud die Parteien zu einer Instruktions- und Vergleichsverhandlung am 31. Januar 2025 vor. Zu Beginn der Verhandlung wies er die Parteien auf den provisorischen Charakter seiner Ausführungen hin. Im Rahmen seiner Einschätzung der Sach- und Rechtslage führte er aus, dass die Voraussetzungen von Art. 366 Abs. 1 OR "mit Sicherheit" erfüllt seien und diesbezüglich "in jedem Fall etwas hängen bleiben" werde. Als die Beklagte die Geltung von Art. 366 Abs. 1 OR bestritt, entgegnete der Oberrichter, dass andernfalls Art. 377 OR anwendbar sei. Da sich die Parteien nicht einigen konnten, scheiterte die Vergleichsverhandlung.

In der Folge stellte die Beklagte am 3. Februar 2025 ein Ausstandsgesuch gegen Oberrichter Vetter, gestützt auf seine Äusserungen an der Vergleichsverhandlung, welches das Handelsgericht mit Beschluss vom 22. April 2025 abwies. Dagegen reichte die Beklagte Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht ein.

3. Rügen der Beschwerdeführerin Die Beschwerdeführerin rügte im Wesentlichen drei Punkte: a) Fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung: Die Vorinstanz habe unbestrittene Tatsachenbehauptungen der Beschwerdeführerin ignoriert und andererseits bestrittene Tatsachen zugrunde gelegt. Zudem sei ein falsches Beweismass angewandt worden. b) Unzutreffende Verneinung der Befangenheit des Richters: Die Äusserungen des Richters hätten eine unzulässige Vorfestlegung und mangelnde Entscheidoffenheit gezeigt. Daran änderten auch die relativierenden Einleitungsbemerkungen nichts. Die Vorinstanz habe zudem ungeeignete Prüfkriterien für die Befangenheit angewandt. c) Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot: Die Vorinstanz habe zu Unrecht die Frist für die Replik in der Hauptsache während des Ausstandsverfahrens sistiert.

4. Erwägungen des Bundesgerichts

4.1. Zur Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung Das Bundesgericht hält fest, dass es seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde legt (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung ist nur zulässig, wenn die Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unrichtig (willkürlich) ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht. Die Beschwerdeführerin muss eine solche Rüge klar und substanziiert vorbringen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Vorliegend beschränkte sich die Beschwerdeführerin darauf, ihre eigene Darstellung des Sachverhalts zu wiederholen und die Beweiswürdigung der Vorinstanz anders vorzunehmen, ohne jedoch aufzuzeigen, inwiefern die Feststellungen der Vorinstanz als willkürlich oder offensichtlich unrichtig zu qualifizieren wären. Ihre Rügen erfüllten die qualifizierten Anforderungen an eine Sachverhaltsrüge nicht. Das Bundesgericht verwarf die Rüge daher und legte die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen seinem Urteil zugrunde.

4.2. Zum Ausstandsgrund der Befangenheit (Art. 47 Abs. 1 lit. f ZPO i.V.m. Art. 30 Abs. 1 BV)

4.2.1. Allgemeine Grundsätze zur Befangenheit Das Bundesgericht wiederholt die fundamentalen Prinzipien des Rechts auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter (Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Eine Gerichtsperson muss in den Ausstand treten, wenn aus anderen Gründen der Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit besteht. Massgebend ist eine objektive Betrachtung der Umstände, die Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters wecken können, nicht das subjektive Empfinden einer Partei. Es ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist; der objektive Anschein genügt.

4.2.2. Korrektur der Rüge bezüglich Prüfkriterien der Vorinstanz Die Beschwerdeführerin rügte, die Vorinstanz habe unzutreffende Kriterien angewandt, indem sie geprüft habe, ob die Äusserungen die "Überzeugung des Gerichts" erschüttern würden, statt ob der Richter selbst noch "ergebnisoffen" sei. Das Bundesgericht weist diesen Vorwurf zurück. Es stellt klar, dass die Vorinstanz eine antizipierte Beweiswürdigung vorgenommen habe. Sie ging zugunsten der Beschwerdeführerin davon aus (sog. Wahrunterstellung), dass die inkriminierten Aussagen gefallen seien, kam aber zum Schluss, dass diese selbst in dieser Form keinen Anschein von Befangenheit begründen würden. Diese Vorgehensweise sei zulässig und rügefrei.

4.2.3. Die Rolle der Gerichtsdelegation in Vergleichsverhandlungen Dieser Abschnitt bildet das Herzstück der bundesgerichtlichen Begründung und ist für die gerichtliche Praxis von besonderer Bedeutung. * Rechtliche Grundlage und Bedeutung: Die ZPO erlaubt dem Gericht ausdrücklich, jederzeit eine Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen (Art. 124 Abs. 3 ZPO). Dies entlastet die Gerichte und ermöglicht oft nachhaltigere und günstigere Lösungen für die Parteien als ein autoritativer Entscheid. Insbesondere bei Handelsgerichten, die oft als erste und einzige Instanz fungieren, ist die vergleichsweise Verfahrenserledigung von grosser Wichtigkeit. * Unpräjudizieller Charakter und Verwertungsverbot: Die in gerichtlichen Vergleichsverhandlungen gemachten Ausführungen dürfen weder protokolliert noch später im Entscheidverfahren verwendet werden (analog Art. 205 Abs. 1 ZPO für Schlichtungsverfahren). Die Parteien und die Gerichtsmitglieder sind an ihre dort gemachten Ausführungen nicht gebunden. Eine spätere Abweichung der gerichtlichen Beurteilung im Urteil von der früheren Einschätzung in der Vergleichsverhandlung ist zulässig und stellt keinen Rechtsfehler dar. * Aufgaben und Spielraum der Gerichtsdelegation: Die Gerichtsdelegation kann den Prozessstoff einschätzen, den Parteien die mutmasslichen Erfolgsaussichten aufzeigen, auf Beweisschwierigkeiten, Kosten und Verfahrensdauer hinweisen. Auch ausser- oder nachprozessuale Aspekte sind zulässig. Je bestimmter und überzeugender die Gerichtsdelegation argumentiert, desto eher können die Parteien einem Vergleich zustimmen. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Anliegen zu überzeugen und der gebotenen Zurückhaltung. * Der Rollenwechsel: Wenn keine Einigung erzielt wird, wirken dieselben Richter am Urteil mit. Sie wechseln von der schlichtenden zur rechtsprechenden Rolle. Um dies transparent zu machen, muss die Gerichtsdelegation auf den provisorischen und unpräjudiziellen Charakter ihrer Einschätzung hinweisen, ohne jedoch jede einzelne Aussage relativieren zu müssen. Eine Offenheit des Denkens muss bewahrt werden. * Informelle Zusammenarbeit und Gesamtbetrachtung: In Vergleichsverhandlungen arbeiten Parteien und Gericht informeller und kooperativer zusammen. Aus einzelnen missverständlichen oder ungeschickten Äusserungen der Gerichtsdelegation darf nicht unbesehen auf Befangenheit geschlossen werden. Eine Gesamtbetrachtung des Verhaltens ist entscheidend; Misstrauen muss durch das Gesamtverhalten oder abschätzige Äusserungen begründet sein. Die Parteien dürfen nicht "jedes Wort auf die Goldwaage legen". * Überzeugungsgrad vs. Befangenheit: Die richterliche Einschätzung der Prozesschancen allein lässt nur sehr beschränkte Rückschlüsse auf Befangenheit zu. Die Gerichtsdelegation braucht ihre Überzeugung nicht zu verbergen, denn die Parteien haben ein legitimes Interesse an einer ehrlichen Einschätzung zur Entscheidungsfindung, ob der Prozess weitergeführt werden soll. Ein hoher Überzeugungsgrad ist nicht gleichzusetzen mit mangelnder Entscheidoffenheit. * Richterliche Fehler und Befangenheit: Richterliche Verfahrensfehler begründen nur ausnahmsweise eine Befangenheit, nämlich nur bei besonders krassen Fehlern oder wiederholten Irrtümern, die eine schwere Verletzung der Richterpflichten darstellen und objektiv eine Haltung fehlender Distanz oder Neutralität manifestieren. Das Ausstandsverfahren dient nicht der Korrektur von Rechtsanwendungsfehlern, was umso mehr für vorläufige, unpräjudizielle Einschätzungen gilt.

4.2.4. Anwendung auf den konkreten Fall Im Lichte dieser Grundsätze verneint das Bundesgericht eine Befangenheit des Beschwerdegegners. Zwar habe er die Anwendbarkeit von Art. 366 Abs. 1 OR "mit Sicherheit" bekräftigt, diese Aussage jedoch unmittelbar danach durch den Hinweis auf die alternative Anwendbarkeit von Art. 377 OR relativiert. Damit sei er durchaus für eine abweichende rechtliche Beurteilung zugänglich gewesen. Eine einzelne unpräjudizielle Äusserung genügt nicht für die Annahme einer Befangenheit. Die Beschwerdeführerin habe zudem weder aufgezeigt, dass die Einschätzung des Richters "in jeder Hinsicht unvertretbar" gewesen sei, noch weitere Anhaltspunkte für Befangenheit im Sinne fehlender Entscheidoffenheit oder offensichtlicher Parteilichkeit vorgebracht.

4.3. Zum Vorwurf der Rechtsverzögerung Der Vorwurf der Rechtsverzögerung durch Sistierung der Replikfrist erweist sich ebenfalls als unbegründet. Wenn ein Ausstandsgesuch hängig ist, ist es geboten, das Verfahren bis zur Klärung der Befangenheitsfrage nicht fortzusetzen. Andernfalls müssten bei Bejahung des Ausstandsgrundes alle Prozesshandlungen, die der Richter nach Einreichung des Gesuchs vorgenommen hat, wiederholt werden (Art. 51 Abs. 1 ZPO), was zu Verzögerungen und Mehrkosten führen würde. Die Sistierung war somit prozessökonomisch sinnvoll und zulässig.

5. Fazit Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen ab, soweit darauf eingetreten wird. Es bestätigt die Auffassung der Vorinstanz, dass die Äusserungen des Richters in einer Vergleichsverhandlung, selbst wenn sie bestimmt erscheinen, für sich allein keinen Anschein von Befangenheit begründen, insbesondere wenn ihr provisorischer Charakter betont wird und der Richter für alternative Sichtweisen offen ist. Der Schwerpunkt liegt auf der Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung und der Unterscheidung zwischen der schlichtenden und der entscheidenden Rolle des Gerichts.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Keine Befangenheit durch richterliche Prozesschancenbeurteilung in Vergleichsverhandlungen: Die Äusserungen eines Richters zur Sach- und Rechtslage in einer gerichtlichen Vergleichsverhandlung begründen grundsätzlich keinen Ausstandsgrund, selbst wenn sie bestimmt formuliert sind und eine klare Tendenz erkennen lassen.
  2. Unpräjudizieller und vertraulicher Charakter: Die in Vergleichsverhandlungen gemachten richterlichen Einschätzungen sind provisorisch und unpräjudiziell; sie dürfen im späteren Entscheidverfahren nicht verwertet werden (analog Art. 205 Abs. 1 ZPO).
  3. Rollenwechsel des Richters: Richter wechseln bei gescheiterter Vergleichsverhandlung von der schlichtenden zur entscheidenden Rolle. Dies ist zulässig, sofern der provisorische Charakter der Einschätzung deutlich gemacht wird und der Richter eine Offenheit des Denkens bewahrt.
  4. Gesamtbetrachtung des Verhaltens: Für die Annahme einer Befangenheit ist eine objektive Gesamtbetrachtung des richterlichen Verhaltens erforderlich. Einzelne ungeschickte oder missverständliche Äusserungen genügen nicht. Parteien dürfen "nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen".
  5. Legitimes Interesse der Parteien: Die Parteien haben ein legitimes Interesse daran, eine ehrliche und überzeugte Einschätzung der Gerichtsdelegation zu erhalten, um ihre weiteren Prozessentscheidungen fundiert treffen zu können. Ein hoher Überzeugungsgrad des Richters ist nicht gleichbedeutend mit mangelnder Entscheidoffenheit.
  6. Sistierung des Verfahrens bei Ausstandsgesuch zulässig: Die Sistierung des Schriftenwechsels während eines hängigen Ausstandsverfahrens ist gerechtfertigt, um unnötige Wiederholungen von Prozesshandlungen und damit verbundene Verzögerungen und Kosten zu vermeiden.