Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (7B_222/2025 vom 11. Juli 2025) detailliert zusammen.
Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_222/2025 vom 11. Juli 2025
1. Parteien und Gegenstand
* Beschwerdeführer (Recourant): A.__, vertreten durch Rechtsanwalt Me Nicola Meier.
* Beschwerdegegner (Intimé): Ministère public de la République et canton de Genève.
* Gegenstand: Antrag auf neues Urteil (Demande de nouveau jugement) nach einem erstinstanzlichen Abwesenheitsurteil.
* Vorinstanz: Chambre pénale de recours de la Cour de justice de la République et canton de Genève.
2. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Genf eröffnete im September 2009 ein Strafverfahren gegen A.__ wegen Betrugs und Urkundenfälschung.
- Gesundheitliche Problematik und Gutachten: Im August 2016 beantragte A._ die Einstellung des Verfahrens wegen schwerwiegender gesundheitlicher Probleme (insbesondere Herzleiden). Ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes medizinisches Gutachten von Prof. B._ (Rechtsmedizin), Prof. C._ (Kardiologie) und D._ (Arzt) vom 30. April 2021 kam zum Schluss, dass die gesundheitlichen Beschwerden von A._ seine Teilnahme an den Verhandlungen nicht verhinderten. A._ hatte sich geweigert, an einer Untersuchung teilzunehmen und seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Ein Antrag von A.__ auf Ergänzung des Gutachtens sowie auf Anhörung der Experten wurde vom Ministère public am 15. Dezember 2022 abgelehnt.
- Vorfälle vor der erstinstanzlichen Verhandlung: A._ wurde zur Gerichtsverhandlung vor dem Tribunal de police am 18. September 2023 vorgeladen. Er reichte am 30. August 2023 erneut einen Antrag auf eine ergänzende Expertise bezüglich seiner Verhandlungsfähigkeit ein und legte ein ärztliches Zeugnis seines Hausarztes E._ (Kardiologe und Internist) vom 3. August 2023 vor. Dieses Zeugnis besagte, A._ müsse, solange die medizinischen Abklärungen nicht abgeschlossen seien, stressauslösende Situationen, insbesondere Gerichtsverhandlungen in Präsenz, vermeiden. Das Tribunal de police forderte daraufhin medizinische Unterlagen und eine Schweigepflichtentbindung, was A._ verweigerte. A.__ erschien nicht zur Verhandlung am 18. September 2023 und wurde für den 30. Oktober 2023 erneut vorgeladen.
- Verhandlung vom 30. Oktober 2023 und Abwesenheitsurteil: A._ erschien auch zu dieser Verhandlung nicht, sein Verteidiger war jedoch anwesend. Die Experten Prof. B._ und Prof. C._ wurden angehört und von der Verteidigung befragt. Sie erklärten, dass sie weder eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes von A._ noch eine Unfähigkeit, einer gerichtlichen Vorladung Folge zu leisten, feststellen könnten. Daraufhin wies das Tribunal de police den Antrag auf Ergänzung der Expertise ab und führte ein Abwesenheitsverfahren durch. A.__ wurde in einigen Punkten freigesprochen, in anderen jedoch (Veruntreuung, gewerbsmässiger Betrug, Urkundenfälschung) schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.
- Antrag auf neues Urteil: A._ beantragte ein neues Urteil. Das Tribunal de police wies diesen Antrag am 22. April 2024 ab, da A._ ohne gültige Entschuldigung nicht zu den Verhandlungen erschienen sei. Die Chambre pénale de recours bestätigte diesen Entscheid am 6. Februar 2025. Dagegen legte A.__ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht ein.
3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht
Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung, der ungenügenden Untersuchung und der Verletzung des Rechts auf ein neues Urteil.
3.1. Sachverhaltsfeststellung und Beweisantrag (Art. 9 BV, Art. 389 StPO)
Der Beschwerdeführer machte geltend, der kantonale Sachverhalt sei willkürlich festgestellt worden und es hätte subsidiär eine Ergänzungsexpertise erfolgen müssen. Er argumentierte, sein ärztliches Zeugnis vom 3. August 2023 hätte eine so schwere Gesundheitsstörung ausgewiesen, dass seine Teilnahme an der Verhandlung vom 30. Oktober 2023 unmöglich gewesen sei.
3.2. Recht auf neues Urteil – Voraussetzungen des Art. 368 Abs. 1 StPO
Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 368 Abs. 1 StPO, da die Vorinstanz zu Unrecht davon ausgegangen sei, seine Abwesenheit an der Verhandlung vom 30. Oktober 2023 sei schuldhaft gewesen.
4. Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht wies die Beschwerde in Strafsachen ab. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
- Zentrale Frage: Berechtigung eines Antrags auf neues Urteil nach einem Abwesenheitsurteil aufgrund angeblicher Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten.
- Massgebliche Beurteilungsgrundlage: Das Bundesgericht stützte sich massgeblich auf die amtlichen medizinischen Expertenberichte und -aussagen, welche die Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers bestätigten.
- Beweiswert privater Zeugnisse: Ein von einer Partei eingeholtes, kurzes ärztliches Zeugnis eines behandelnden Arztes (auch eines Spezialisten) ist nicht ausreichend, um die Schlussfolgerungen amtlicher, gerichtlich befragter Experten ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
- Verweigerung der Mitwirkung: Die Weigerung des Beschwerdeführers, das Arztgeheimnis zu lüften und medizinische Unterlagen vorzulegen, schwächte seine Glaubwürdigkeit und unterstützte die Ablehnung weiterer Beweise.
- Antizipierte Beweiswürdigung: Die Gerichte waren berechtigt, weitere medizinische Abklärungen (Ergänzungsexpertisen) aufgrund einer nicht willkürlichen antizipierten Beweiswürdigung abzulehnen, da die vorliegenden Beweise als ausreichend erachtet wurden.
- Voraussetzung für neues Urteil (Art. 368 StPO): Ein Abwesenheitsurteil kann nur dann neu beurteilt werden, wenn der Beschuldigte ohne schuldhaftes Verschulden nicht an der Verhandlung teilnehmen konnte.
- Schwelle der Verhandlungsunfähigkeit: Die Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit sind niedrig, insbesondere wenn der Beschuldigte anwaltlich vertreten ist. Eine schwere Erkrankung, die eine Teilnahme objektiv unmöglich macht, ist erforderlich. Im vorliegenden Fall wurde dies verneint.
- Fazit: Die Abwesenheit des Beschwerdeführers wurde als freiwillig und schuldhaft beurteilt, weshalb sein Antrag auf ein neues Urteil zu Recht abgewiesen wurde.