Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 7B_742/2023 vom 27. Juni 2025
1. Parteien und Gegenstand
Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts (II. Strafrechtliche Abteilung) befasst sich mit einem Rekurs von A.__ (dem Beschwerdeführer) gegen ein Urteil der Chambre pénale d'appel et de révision des Genfer Kantonsgerichts vom 13. Februar 2023. Der Beschwerdeführer wurde in erster Instanz (Tribunal correctionnel) und in zweiter Instanz (kantonaler Gerichtshof) unter anderem wegen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB) und Urkundenfälschung (Art. 251 StGB) im Zusammenhang mit einem COVID-19-Kredit verurteilt. Die Verurteilung umfasste zudem weitere Delikte wie Freiheitsberaubung, Diebstahl, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Das Kantonsgericht verhängte eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten, wovon 12 Monate nicht bedingt waren, sowie eine Busse von 2'000 Franken und widerrief eine frühere bedingte Strafe. Zivilrechtlich wurde der Beschwerdeführer zur Rückzahlung von CHF 199'973.73 an die Kautionsgesellschaft verurteilt. Der Beschwerdeführer focht die Verurteilungen wegen Betrugs und Urkundenfälschung im Zusammenhang mit dem COVID-19-Kredit an und verlangte eine mildere Strafe.
2. Sachverhalt (relevant für Betrug und Urkundenfälschung)
Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, am 1. April 2020 zusammen mit seiner Partnerin einen COVID-19-Kredit beantragt und erhalten zu haben. Dabei gab er in einem Kreditantragsformular für die Einzelfirma C._ wahrheitswidrig einen Jahresumsatz von 2 Millionen Franken für das Jahr 2019 an. Die Bank (F._) zahlte daraufhin einen Betrag von 200'000 Franken an die Partnerin des Beschwerdeführers aus. Der Beschwerdeführer zweigte einen Grossteil dieses Betrags auf persönliche Konten ab oder hob ihn in bar ab und verwendete ihn für private Zwecke. Der Kredit wurde von der Bank zur Rückzahlung fällig gestellt, jedoch nicht zurückgezahlt. Die Bank nahm daraufhin die Bürgschaft der Kautionsgesellschaft (E.__) in Anspruch, welche den Betrag von CHF 199'973.73 beglich und Strafanzeige erstattete.
3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht
3.1. Betrug (Art. 146 Abs. 1 StGB)
Der Beschwerdeführer bestritt nicht die Tatsachen, sondern rügte das Fehlen des Tatbestandsmerkmals der "Arglist".
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Rechtliche Grundlagen der Arglist (Art. 146 Abs. 1 StGB):
- Arglist liegt vor, wenn der Täter ein Lügengebäude, betrügerische Machenschaften oder eine Inszenierung verwendet.
- Auch einfache falsche Angaben können arglistig sein, wenn deren Überprüfung nicht oder nur schwer möglich ist oder nicht vernünftigerweise verlangt werden kann, oder wenn der Täter das Opfer von der Überprüfung abhält oder ein besonderes Vertrauensverhältnis ausnutzt.
- Arglist ist ausgeschlossen, wenn das Opfer sich mit einem Minimum an Aufmerksamkeit oder Vorsicht hätte schützen können. Es wird jedoch keine maximale Sorgfalt vom Opfer verlangt. Eine Mitverantwortung des Opfers schliesst Arglist nur in Ausnahmefällen aus.
- Zwischen der Täuschung und der Vermögensverfügung muss ein Kausalzusammenhang bestehen (sog. "Selbstschädigung"). Bei einem "Dreiecksbetrug" muss das getäuschte Opfer über eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen des geschädigten Dritten verfügen.
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Spezifische Arglist im Kontext von COVID-19-Krediten (Querverweis zu BGE 150 IV 169):
- Das Bundesgericht betonte, dass die Vergabe von COVID-19-Krediten bis 500'000 Franken einem vereinfachten und standardisierten Verfahren unterlag, das massgeblich auf einer Selbstdeklaration des Antragstellers beruhte (BGE 150 IV 169 E. 3.2.4).
- Die Banken waren nicht zu einer detaillierten Überprüfung der Angaben verpflichtet. Ihre Prüfung beschränkte sich im Wesentlichen auf die formelle Vollständigkeit und Richtigkeit des Antrags, die Einhaltung der Unterschriftsberechtigung und die Einhaltung der 10%-Umsatzgrenze. Der Kredit wurde bei formeller Korrektheit automatisch zugesichert und die Garantie des Bundes war ebenfalls automatisch.
- Entscheidend: Das Bundesgericht stellte klar, dass seine frühere Rechtsprechung, die bei "Kleinkrediten" Arglist verneinte (vgl. BGE 107 IV 169 E. 2), nicht auf COVID-19-Kredite übertragbar ist. Angesichts der besonderen Umstände (sofortige Hilfe für KMU, spezifische Bestimmungen, Ehrenwörtlichkeit der Erklärung, keine Überprüfung vorgesehen oder zumutbar) stellt bereits die einfache Angabe falscher Informationen eine arglistige Täuschung dar (BGE 150 IV 169 E. 5.1.4, bestätigt in 6B_1265/2023 E. 7.1.3).
- Das Ziel der "Soforthilfe" würde durch aufwendige Prüfungen untergraben. Die Bank verzichtete bewusst auf Kontrollen, um die schnelle Unterstützung zu ermöglichen. Die Klausel, die den Verzicht auf das Bank-, Steuer- oder Berufsgeheimnis vorsah, verstärkte den Eindruck, dass der Antragsteller nichts zu verbergen hatte.
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Anwendung im vorliegenden Fall:
- Das Kantonsgericht hatte festgestellt, dass der Beschwerdeführer wusste, dass der Kredit auf der Grundlage des Formulars "quasi-automatisch" und ohne Überprüfung ausgezahlt würde. Er habe die Mittel für persönliche Zwecke missbraucht, ohne die Absicht oder Möglichkeit der Rückzahlung.
- Das Bundesgericht bestätigt, dass die Bank nicht fahrlässig gehandelt hat, da sie sich auf die vereinfachten Prüfpflichten gemäss OCaS-COVID-19 verlassen musste. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf eigene Widersprüche oder angebliche "Mängel" der Bank berufen.
- Der Einwand des Beschwerdeführers bezüglich eines fehlenden besonderen Vertrauensverhältnisses zur Bank ist im Kontext der COVID-19-Kredite unerheblich. Auch der Hinweis auf seine angebliche Rückzahlungsabsicht geht ins Leere, da er zum Zeitpunkt der Antragstellung wusste, dass er den Kredit nicht würde zurückzahlen können.
- Die Bedingung der Arglist war somit erfüllt.
3.2. Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB)
Der Beschwerdeführer rügte, dass das Antragsformular für den COVID-19-Kredit keine "erhöhte Beweiseignung" besitze.
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Rechtliche Grundlagen der Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB):
- Es wird zwischen materieller (fehlende Übereinstimmung zwischen scheinbarem und tatsächlichem Aussteller) und geistiger Urkundenfälschung unterschieden.
- Bei der geistigen Urkundenfälschung gibt der Inhalt der Urkunde die Wahrheit nicht wieder. Sie ist nur strafbar, wenn die Urkunde eine erhöhte Beweiseignung aufweist, d.h., sie muss objektive Garantien für die Wahrheit ihres Inhalts bieten, so dass eine Überprüfung durch den Empfänger nicht erforderlich und nicht zumutbar ist.
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Spezifische Beweiseignung bei COVID-19-Krediten:
- Das Bundesgericht hatte bereits festgestellt, dass das COVID-19-Kreditantragsformular eine Urkunde im Sinne von Art. 110 Abs. 4 StGB darstellt und insbesondere bezüglich der Umsatzangaben eine erhöhte Glaubwürdigkeit besitzt (Urteile 6B_262/2024 E. 1.9; 7B_274/2022 E. 4.3; 6B_691/2023 E. 3.3).
- Personen, die darin falsche Umsatzzahlen angaben, machen sich der Urkundenfälschung schuldig.
- Das Kantonsgericht hatte korrekt festgehalten, dass die Bank auf der Grundlage dieses Formulars bis zu 500'000 Franken den Kredit automatisch gewähren musste, was die erhöhte Beweiseignung des Dokuments begründet.
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Anwendung im vorliegenden Fall:
- Der Beschwerdeführer gab zu, falsche Angaben im Formular gemacht und den tatsächlichen Umsatz verschwiegen sowie den voraussichtlichen Umsatz offensichtlich übertrieben zu haben.
- Die Voraussetzung der geistigen Urkundenfälschung ist somit erfüllt.
3.3. Verhältnis zu Art. 23 der Verordnung über die Solidarbürgschaften infolge des Coronavirus (OCaS-COVID-19)
Der Beschwerdeführer beantragte eine Verurteilung lediglich wegen Widerhandlung gegen Art. 23 OCaS-COVID-19 (welcher bei falschen oder unvollständigen Angaben Sanktionen vorsieht). Das Bundesgericht bestätigte jedoch die Auffassung des Kantonsgerichts, dass diese Bestimmung subsidiär zu den Tatbeständen des Betrugs und der Urkundenfälschung ist (vgl. BGE 150 IV 169 E. 3.4).
3.4. Strafzumessung
Der Beschwerdeführer rügte die Höhe der ihm auferlegten Strafe.
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Grundsätze der Strafzumessung (Art. 47 StGB):
- Das Gericht legt die Strafe nach dem Verschulden des Täters fest und berücksichtigt dabei dessen Vorleben, seine persönlichen Verhältnisse und die Wirkung der Strafe auf seine Zukunft.
- Das Verschulden wird nach der Schwere der Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung, der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie dem Mass der Vermeidbarkeit der Gefährdung oder Verletzung beurteilt.
- Dem Richter steht ein weiter Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn das kantonale Gericht den gesetzlichen Rahmen überschritten, sachfremde Kriterien angewendet, wichtige Elemente unberücksichtigt gelassen oder die Strafe in einem Masse über- oder unterschritten hat, dass sie einen Ermessensmissbrauch darstellt. Die Begründung muss es ermöglichen, die Gewichtung der einzelnen Faktoren nachzuvollziehen (Art. 50 StGB).
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Beurteilung durch das Kantonsgericht:
- Das Kantonsgericht beurteilte das Verschulden des Beschwerdeführers als sehr hoch. Er habe zahlreiche Rechtsgüter verletzt, öffentliche Gelder (COVID-19-Kredit) für Luxusausgaben verschwendet und dabei die besonderen Umstände der Pandemie ausgenutzt.
- Die Motive waren egoistisch; das Verhalten zeugte von völliger Missachtung der Solidaritäts- und Wirtschaftsschutzwerte.
- Zusätzlich hatte der Beschwerdeführer während des Strafverfahrens weitere Delikte (Diebstähle) begangen.
- Die Zusammenarbeit des Beschwerdeführers während des Verfahrens wurde als "sehr mässig" beurteilt; er habe versucht, seine Taten zu minimieren, sich als Opfer dargestellt und seine Beteiligung erst spät eingeräumt. Seine Reue wurde als nicht glaubhaft angesehen, zumal er den Schaden nicht wiedergutgemacht hatte.
- Es lag ein Deliktskonkurs vor, und der Beschwerdeführer hatte einschlägige Vorstrafen im Vermögensbereich.
- Die Vorinstanz berücksichtigte zwar die schwierige wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers, sah aber keinen Grund, die unbedingte Dauer der Strafe (12 Monate) oder die Probezeit (5 Jahre) zu ändern, insbesondere angesichts seiner Schuld, Rückfälligkeit, mangelnder Einsicht und fehlender Schadenswiedergutmachung. Das Verschlechterungsverbot ("reformatio in peius") führte dazu, dass die Gesamtstrafe auf 30 Monate begrenzt blieb, obwohl das Kantonsgericht eine höhere Strafe als angemessen erachtete.
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Beurteilung durch das Bundesgericht:
- Das Bundesgericht wies die Rügen des Beschwerdeführers zur Strafzumessung als rein appellatorisch und somit unzulässig zurück. Der Beschwerdeführer beschränke sich darauf, seine eigene Beweiswürdigung derjenigen des Kantonsgerichts entgegenzusetzen, ohne eine willkürliche Würdigung nachzuweisen.
- Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz alle relevanten Elemente für die Strafzumessung detailliert berücksichtigt hat und keinen Ermessensmissbrauch beging.
4. Fazit
Das Bundesgericht wies den Rekurs ab, soweit er zulässig war. Der Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege wurde mangels Erfolgsaussichten abgewiesen.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Betrug (Arglist bei COVID-19-Krediten): Das Bundesgericht bekräftigt seine Rechtsprechung (BGE 150 IV 169), dass im vereinfachten Verfahren für COVID-19-Kredite die einfache Abgabe falscher Informationen (z.B. falsche Umsatzangaben) bereits das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfüllt. Dies, weil die Banken aufgrund der Zwecksetzung der "Soforthilfe" keine detaillierten Überprüfungen vornehmen mussten und sich auf die Selbstdeklaration verlassen durften. Eine angebliche Fahrlässigkeit der Bank oder ein fehlendes besonderes Vertrauensverhältnis sind in diesem Kontext irrelevant.
- Urkundenfälschung (Erhöhte Beweiseignung): Das Antragsformular für COVID-19-Kredite besitzt, insbesondere hinsichtlich der Umsatzangaben, eine erhöhte Beweiseignung. Da die Bank den Kredit auf dieser alleinigen Grundlage gewähren musste, ist die Angabe falscher Umsatzzahlen als geistige Urkundenfälschung strafbar.
- Subsidiäres Strafrecht: Die spezielle Sanktionsbestimmung in Art. 23 OCaS-COVID-19 ist subsidiär zu den allgemeinen Straftatbeständen des Betrugs und der Urkundenfälschung anzuwenden.
- Strafzumessung: Das Bundesgericht bestätigte das weite Ermessen der Vorinstanz bei der Strafzumessung. Die Begründung der hohen Schuld (Missbrauch von Hilfsmassnahmen, persönliche Bereicherung, mangelnde Kooperation und Reue, Vorstrafen) war fundiert und zeigte keinen Ermessensmissbrauch.