Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_595/2024 vom 27. Juni 2025

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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (2C_595/2024 vom 27. Juni 2025) befasst sich mit dem Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA eines österreichischen Staatsangehörigen durch die Thurgauer Migrationsbehörden.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer A.__, ein 1959 geborener österreichischer Staatsangehöriger mit Schweizer Mutter, lebte von Geburt an bis 2012 mit einer Niederlassungsbewilligung EU/EFTA in der Schweiz. Nach einem Umzug nach Deutschland erlosch diese Bewilligung. Im Mai 2019 reiste er wieder in die Schweiz ein und erhielt zunächst eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA für erwerbslosen Aufenthalt, basierend auf seinen Vermögensverhältnissen. Kurz darauf nahm er eine Anstellung an und erhielt im Juli 2020 eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA mit Erwerbstätigkeit.

Seine Anstellung verlor er jedoch bereits Mitte Juli 2020 und hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Eine neue Stelle, die er im Dezember 2020 antrat, wurde ihm Ende Januar 2021 wieder gekündigt. Anschliessend meldete er sich für den Bezug einer vorzeitigen Altersrente an, die er ab April 2022 zusammen mit Ergänzungsleistungen bezog. Daraufhin leitete das Migrationsamt im September 2022 das Widerrufsverfahren seiner Aufenthaltsbewilligung ein.

Das Migrationsamt widerrief die Bewilligung am 13. März 2023 und wies A._ aus der Schweiz weg. Das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau bestätigte diesen Entscheid im Januar 2024 und das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die Beschwerde im September 2024 ab. Die kantonalen Behörden begründeten den Widerruf damit, dass A._ seine Arbeitnehmereigenschaft aufgegeben habe, er sich nicht auf ein freizügigkeitsrechtliches Verbleiberecht berufen könne, da er die erforderliche Beschäftigungsdauer von zwölf Monaten und den dreijährigen Mindestaufenthalt vor Aufgabe der Erwerbstätigkeit nicht erfüllt habe, und er aufgrund des Bezugs von Ergänzungsleistungen auch nicht zum erwerbslosen Aufenthalt berechtigt sei. Ein Härtefall wurde verneint.

Rechtliche Problematik

Das Bundesgericht hatte im Wesentlichen zu prüfen, ob der Beschwerdeführer seinen Status als Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsabkommens (FZA) beibehalten hatte, ob ihm ein freizügigkeitsrechtliches Verbleiberecht nach Beendigung der Erwerbstätigkeit zusteht und ob der Widerruf seiner Aufenthaltsbewilligung und die Wegweisung verhältnismässig waren, insbesondere im Hinblick auf sein Grundrecht auf Privatleben.

Begründung des Bundesgerichts

  1. Sachverhaltsfeststellung betreffend Arbeitsbemühungen: Der Beschwerdeführer rügte eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz, die ihm vorgeworfen hatte, keine intensiven Bemühungen zur Stellensuche unternommen zu haben. Er verwies auf 31 Bewerbungen im Jahr 2020 und je zwei in den Jahren 2021 und 2022. Das Bundesgericht verneinte eine offensichtliche Unrichtigkeit. Es stellte klar, dass die Vorinstanz nicht grundsätzlich das Fehlen von Bemühungen bemängelt habe, sondern das Fehlen intensiver Bemühungen nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle im Januar 2021. Die Mehrzahl der vom Beschwerdeführer angeführten Bewerbungen erfolgte vor diesem kritischen Zeitpunkt, und die wenigen späteren Bewerbungen reichten nicht aus, um die vorinstanzliche Würdigung als offensichtlich falsch erscheinen zu lassen. Der Sachverhalt war für das Bundesgericht somit verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG).

  2. Verlust der Arbeitnehmereigenschaft (Art. 6 Abs. 6 Anhang I FZA i.V.m. Art. 61a Abs. 4 AIG): Der Beschwerdeführer machte geltend, er sei unfreiwillig arbeitslos geworden, weshalb Art. 6 Abs. 6 Anhang I FZA einem Widerruf entgegenstehe. Das Bundesgericht erläuterte seine ständige Rechtsprechung, wonach ein Arbeitnehmer seinen Status bei unfreiwilliger Beendigung der Erwerbstätigkeit nicht unmittelbar verliert, es sei denn, es bestehen keine ernsthaften Aussichten auf eine neue Stelle oder das Verhalten ist rechtsmissbräuchlich. Die 18-monatige Frist, nach der bei Arbeitslosigkeit und ausgeschöpften Arbeitslosenentschädigungen von fehlenden Aussichten auf eine neue Stelle ausgegangen wird, war hier nicht einschlägig. Das Gericht verwies auf Art. 61a Abs. 4 AIG, der die bundesgerichtliche Praxis ins nationale Recht kodifiziert. Da der Beschwerdeführer in seinen Arbeitsverhältnissen (total ca. 4.5 Monate) die zwölfmonatige Mindestdauer nicht erreichte und auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hatte, verlor er gemäss Art. 61a Abs. 4 Satz 1 AIG seine Arbeitnehmereigenschaft sechs Monate nach der Beendigung seines letzten Arbeitsverhältnisses, d.h. per 26. Juli 2021. Das Bundesgericht betonte zudem, dass die Aufenthaltsberechtigung nach dem FZA deklaratorischen Charakter hat und direkt aus dem Staatsvertrag resultiert. Der Zeitpunkt des formellen Bewilligungswiderrufs durch die Behörde ist daher irrelevant für das Erlöschen des Bewilligungsanspruchs.

  3. Freizügigkeitsrechtliches Verbleiberecht (Art. 4 Anhang I FZA): Der Beschwerdeführer berief sich weiter auf ein Verbleiberecht nach Beendigung der Erwerbstätigkeit. Das Bundesgericht prüfte dies im Lichte von Art. 7 lit. c FZA in Verbindung mit Art. 4 Anhang I FZA und Art. 2 Abs. 1 lit. a der Verordnung Nr. 1251/70. Für ein solches Recht sind eine vorausgegangene Beschäftigung von zwölf Monaten und ein dreijähriger Mindestaufenthalt in der Schweiz erforderlich. Das Gericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer keine einjährige Beschäftigung nachweisen konnte. Zudem hatte er sich im Zeitpunkt seiner Frühpensionierung im April 2022 noch keine drei Jahre in der Schweiz aufgehalten, da er erst im Mai 2019 wieder eingereist war. Die Argumentation des Beschwerdeführers, die Dreijahresfrist erst ab dem Zeitpunkt des Bewilligungsentzugs am 13. März 2023 zu berechnen, wurde aufgrund des bereits dargelegten deklaratorischen Charakters der FZA-Berechtigung ebenfalls verworfen. Die Voraussetzungen für ein Verbleiberecht waren somit nicht erfüllt. Das Bundesgericht verwies hierbei auf ähnliche Fälle und seine jüngere Rechtsprechung, wie beispielsweise die Urteile 2C_565/2022, 2C_329/2022 und 2C_940/2019, die die Anwendung dieser Bestimmungen konkretisieren.

  4. Grundrecht auf Privatleben (Art. 8 EMRK): Die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe sein Aufenthaltsrecht gestützt auf sein Grundrecht auf Privatleben unzureichend gewürdigt, wies das Bundesgericht mangels rechtsgenüglicher Begründung gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG ab. Der Beschwerdeführer habe sich nicht hinreichend mit der ausführlichen Würdigung seiner Integration und der Interessenabwägung durch die Vorinstanz auseinandergesetzt. Seine Kritik fusste im Übrigen massgeblich auf der bereits als unbegründet erachteten Sachverhaltsrüge bezüglich seiner Erwerbsbemühungen.

Entscheid

Das Bundesgericht wies die Beschwerde des A.__ vollumfänglich ab.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Verlust der Arbeitnehmereigenschaft: Der Beschwerdeführer verlor seinen Arbeitnehmerstatus sechs Monate nach Beendigung seines letzten kurzzeitigen Arbeitsverhältnisses (Januar 2021), d.h. per 26. Juli 2021, da er die erforderliche Beschäftigungsdauer von zwölf Monaten nicht erreichte und keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hatte (Art. 61a Abs. 4 Satz 1 AIG i.V.m. Art. 6 Abs. 6 Anhang I FZA).
  • Deklaratorischer Charakter der FZA-Rechte: Der Zeitpunkt des formellen Bewilligungswiderrufs ist für das Erlöschen der Aufenthaltsberechtigung irrelevant, da sich diese direkt aus dem Staatsvertrag ergibt.
  • Kein freizügigkeitsrechtliches Verbleiberecht: Der Beschwerdeführer erfüllte die Voraussetzungen für ein Verbleiberecht nach Beendigung der Erwerbstätigkeit (Art. 4 Anhang I FZA) nicht, da er weder zwölf Monate erwerbstätig war noch sich im massgebenden Zeitpunkt drei Jahre in der Schweiz aufgehalten hatte.
  • Unzureichende Begründung des Privatlebens: Die Rüge der Verletzung des Grundrechts auf Privatleben (Art. 8 EMRK) wurde mangels rechtsgenüglicher Begründung abgewiesen.