Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer 7B_619/2023 vom 25. Juni 2025) befasst sich detailliert mit der Frage der Beschwerdelegitimation (Locus Standi) einer Privatklägerschaft bei einer Einstellungsverfügung in einem Strafverfahren wegen Ehrverletzungsdelikten. Das Bundesgericht weist die Beschwerde des A.__ mangels Beschwerdelegitimation ab, da die geltend gemachten zivilrechtlichen Ansprüche nicht direkt gegen den Beschuldigten gerichtet werden können und das Interesse an der Rüge der Verletzung des Beschwerderechts fehlt, weil die Vorinstanz die Sache bereits materiell geprüft hat.
1. Sachverhalt und Verfahrensgang
- Ausgangslage: A._ (Beschwerdeführer), Architekt und alleiniger Geschäftsführer der C._ SA, reichte durch seine Anwältin Strafanzeige gegen B._ (Beschwerdegegner), einen Gemeinderat der Stadt U._, wegen angeblich ehrenrühriger, diffamierender oder verleumderischer Äusserungen ein. Diese Äusserungen sollen während einer Gemeinderatssitzung zum Bauprojekt "D._ - Résidence E._" gemacht und in lokalen Medien (Quotidien F._ und G._) verbreitet worden sein.
- Vorgeworfene Äusserungen: A._ machte geltend, B._ und andere U.__-Gemeinderäte hätten ihn als "skrupellosen Genfer Investor" bezeichnet, Zweifel an der Einhaltung von Baugenehmigungen oder Nachhaltigkeitskriterien gesät und behauptet, er halte Regeln nicht ein, Auditergebnisse würden "unter den Teppich gekehrt" und sein "wenig offenes" Verhalten könnte zu Arbeitsplatzverlusten führen. Diese Äusserungen hätten seinen beruflichen Ruf geschädigt und ihn als skrupellose, regellose und verheimlichende Person dargestellt, weshalb er eine Pressekonferenz abhalten musste.
- Strafverfahren: Die Staatsanwaltschaft des Kantons Jura eröffnete am 7. November 2022 eine Strafuntersuchung gegen B._ wegen übler Nachrede und Verleumdung. Nach Parteianhörungen und Aktenbeizug (Protokoll der Gemeinderatssitzung, Transkript eines Radiointerviews) erliess die Staatsanwaltschaft am 3. Mai 2023 eine Einstellungsverfügung, da die Vorwürfe nicht den Tatbestand der Ehrverletzung erfüllten. Die Kosten wurden A._ auferlegt und B.__ eine Entschädigung zugesprochen.
- Kantonales Rechtsmittelverfahren: Die Strafkammer des Kantonsgerichts Jura wies am 13. Juli 2023 die Beschwerde von A._ gegen die Einstellungsverfügung ab und bestätigte diese. Dabei hielt sie fest, dass die Strafanzeige nicht ausreichend präzise gewesen sei, nachträglich präzisierte Fakten verfristet waren und die Vollmacht der Anwältin nicht für eine ausdrückliche Ehrverletzungsklage ausreichte. Auch die Genehmigung der Klage durch A._ sei verspätet erfolgt. Trotzdem sei die Vorinstanz "in jedem Fall" auf die Beschwerde eingetreten und habe die materielle Frage der Ehrverletzung geprüft.
- Bundesgerichtsverfahren: A.__ reichte Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht ein mit dem Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheids und Rückweisung der Sache zur Fortsetzung der Untersuchung oder Anklageerhebung.
2. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht
Das Bundesgericht prüfte in erster Linie die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers, da dies eine grundlegende Voraussetzung für die Behandlung der Beschwerde ist.
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2.1. Beschwerdelegitimation (Art. 81 Abs. 1 BGG)
Die Beschwerdelegitimation setzt voraus, dass die Partei am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat und ein aktuelles und praktisches Rechtsinteresse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Ein reines tatsächliches oder zukünftiges Interesse genügt nicht.
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2.2. Beschwerdelegitimation der Privatklägerschaft bei Zivilansprüchen (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG)
Bei Einstellungs- oder Nichteintretensverfügungen muss die Privatklägerschaft (geschädigte Partei) darlegen, inwiefern der angefochtene Entscheid sich auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche auswirken kann. Solche Ansprüche sind primär Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche gemäss Art. 41 ff. OR. Das Bundesgericht stellt hohe Anforderungen an die Begründung der Beschwerdelegitimation: Die Privatklägerschaft muss präzise darlegen, wie die Zivilansprüche begründet sind und, soweit möglich, den erlittenen Schaden beziffern. Nur in Ausnahmefällen, bei Straftaten, die direkt die physische, psychische oder sexuelle Integrität betreffen und deren Schwere unzweifelhaft Schadenersatz oder Genugtuung rechtfertigt, kann von einer detaillierten Begründung abgesehen werden.
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2.3. Anwendung auf den vorliegenden Fall – Mangelnde Beschwerdelegitimation in der Sache
- Keine automatische Annahme von Genugtuungsanspruch bei Ehrverletzung: Die hier gerügten Delikte (Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung) führen nicht automatisch zu einem Genugtuungsanspruch. Eine leichte Rufschädigung rechtfertigt grundsätzlich keine Wiedergutmachung. Ein Anspruch auf Genugtuung gemäss Art. 49 Abs. 1 OR setzt eine objektiv gewisse Schwere der Persönlichkeitsverletzung und ein subjektiv stark empfundenes seelisches Leid voraus. Der Beschwerdeführer bezifferte seine Genugtuungsansprüche nicht und legte auch keine objektive Schwere der erlittenen Verletzung dar.
- Staatshaftung schliesst Direktklage aus: Der entscheidende Punkt für die fehlende Beschwerdelegitimation ist, dass der Beschwerdeführer nicht darlegte, auf welcher Grundlage er zivilrechtliche Ansprüche direkt gegen einen Gemeindebeamten geltend machen will. Gemäss Art. 37 des jurassischen Gemeindegesetzes (LCom; RS/JU 190.11) sieht das kantonale Recht eine Haftung des Staates für Schäden vor, die von Gemeindebeamten in Ausübung ihrer Funktionen verursacht werden (Art. 37 Abs. 1 und 2 LCom). Dies schliesst eine direkte Klage des Geschädigten gegen den Beamten aus (Art. 37 Abs. 3 LCom). Da der Kanton Jura von der in Art. 61 Abs. 1 OR vorbehaltenen Befugnis Gebrauch gemacht hat, hätte der Beschwerdeführer allenfalls einen öffentlich-rechtlichen Anspruch nicht gegen B.__, sondern gegen den Staat geltend machen können. Solche öffentlich-rechtlichen Ansprüche können gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts (Verweise auf BGE 146 IV 76 E. 3.1; 138 IV 86 E. 3.1; Urteil 6B_806/2021 E. 4.1) nicht im Strafverfahren durch Adhäsionsklage geltend gemacht werden und stellen daher keine Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 BGG dar. Mangels entsprechender Ausführungen des Beschwerdeführers ist die Beschwerdelegitimation in der Sache ausgeschlossen.
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2.4. Beschwerdelegitimation bei der Rüge des Beschwerderechts (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 6 BGG)
Die Privatklägerschaft ist grundsätzlich befugt, die Verletzung ihres Beschwerderechts zu rügen. Das kantonale Gericht hatte in der Tat die Gültigkeit der Strafanzeige (mangels Präzision, Verfristung, unzureichender Vollmacht und verspäteter Genehmigung) in Frage gestellt. Hätte die Vorinstanz die Sache nicht materiell geprüft, so hätte hier eine Beschwerdelegitimation bestanden, um die korrekte Behandlung der Anzeige zu erwirken.
Da die kantonale Instanz die materiellen Vorwürfe gegen B.__ aber "in jedem Fall" geprüft hat (obwohl sie die formellen Mängel der Klage festgestellt hat), fehlt dem Beschwerdeführer ein aktuelles und praktisches Interesse, die Verletzung seines Beschwerderechts feststellen zu lassen. Eine Gutheissung der Beschwerde in diesem Punkt würde nicht zu einer Rückweisung führen, die eine weitere materielle Prüfung der Einstellungsverfügung zum Ziel hätte.
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2.5. Rüge der formellen Rechtsverweigerung ("Star-Praxis")
Der Beschwerdeführer rügte, das kantonale Gericht habe eine formelle Rechtsverweigerung begangen, indem es nicht ausreichend begründet habe, warum die Einstellungsverfügung keine Rechtsverletzung darstelle oder warum die Sachverhaltsfeststellung unvollständig/fehlerhaft sei. Das Bundesgericht weist diese Rüge als unzulässig zurück, da sie untrennbar mit der materiellen Beurteilung des Streitpunkts verbunden ist. Die Vorinstanz habe die Frage der Ehrverletzung materiell geprüft und begründet. Auch die spezifische Rüge, das kantonale Gericht habe sich nicht zu den Begriffen "ne respectant plus les règles" und "résultat final ne soit pas trop mauvais" geäussert, wurde zurückgewiesen. Das kantonale Gericht habe diese Äusserungen transkribiert und gewürdigt, wobei es zum Schluss kam, dass sie sich auf die nicht strafrechtlich geschützte Reputation der beruflichen Tätigkeit bezögen. Die Rüge des Beschwerdeführers sei diesbezüglich unzureichend substanziiert gewesen (Art. 42 Abs. 2 und 106 Abs. 2 BGG).
3. Fazit
Die Beschwerde wird vom Bundesgericht als unzulässig erklärt. Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Fehlende Beschwerdelegitimation wegen zivilrechtlicher Ansprüche: Die Privatklägerschaft muss im Falle einer Einstellungsverfügung konkret darlegen und beziffern, inwiefern der Entscheid ihre zivilrechtlichen Ansprüche (Schadenersatz/Genugtuung) beeinflusst. Bei Ehrverletzungsdelikten ist ein Genugtuungsanspruch nicht automatisch gegeben, sondern setzt eine objektiv schwere und subjektiv stark empfundene Verletzung voraus.
- Ausschluss der Direktklage gegen Beamte: Gemäss kantonalem jurassischen Recht (und vergleichbaren kantonalen Regelungen gestützt auf Art. 61 Abs. 1 OR) haftet der Staat für Schäden, die Beamte in Ausübung ihrer Funktion verursachen. Eine direkte Klage des Geschädigten gegen den Beamten ist ausgeschlossen. Öffentlich-rechtliche Ansprüche gegen den Staat können nicht im Strafverfahren als Zivilansprüche geltend gemacht werden, was die Beschwerdelegitimation der Privatklägerschaft hier ausschliesst.
- Fehlendes Interesse an Rüge des Beschwerderechts: Obwohl das kantonale Gericht formelle Mängel der Strafanzeige festgestellt hat, hat es die Sache "in jedem Fall" materiell geprüft. Da die materielle Prüfung bereits erfolgt ist, fehlt ein aktuelles und praktisches Rechtsinteresse, die Verletzung des Beschwerderechts feststellen zu lassen.
- Ungenügende Begründung von Rügen: Rügen, die untrennbar mit der materiellen Beurteilung verbunden sind oder unzureichend substanziiert sind, werden vom Bundesgericht nicht behandelt.