Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_194/2024 vom 19. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 2C_194/2024 des Schweizerischen Bundesgerichts:

Rubrum und Gegenstand

Das Urteil betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 19. März 2024. Gegenstand ist die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin, einer nordmazedonischen Staatsangehörigen.

Sachverhalt (Wesentlich für den Entscheid)

Die Beschwerdeführerin, A.A._ (geb. 1951), war von 1974 bis 1981 mit dem Schweizer Staatsangehörigen B.A._ verheiratet. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor, die später ebenfalls in die Schweiz übersiedelten, nachdem der Vater eine Schweizerin geheiratet und das Schweizer Bürgerrecht erlangt hatte. Die Beschwerdeführerin selbst wurde im Februar 2006 wegen illegalen Aufenthalts aus der Schweiz weggewiesen und mit einer Einreisesperre belegt. Diese Sperre wurde später aufgehoben, und die Beschwerdeführerin reiste im Dezember 2009 erneut ein, zunächst mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung, ab Dezember 2010 mit einer Aufenthaltsbewilligung, die mehrfach verlängert wurde (zuletzt bis 1. Dezember 2017).

Ihr ursprünglicher Aufenthaltszweck in der Schweiz war die Pflege ihrer schwer kranken Tochter D.A._ (verstorben 2010) und die Unterstützung ihrer an einer Behinderung leidenden Enkelin F.A._ (verstorben 2018). Nach dem Tod der Enkelin gab die Beschwerdeführerin an, ihre ältere Tochter C.A.__ benötige aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung ihre Unterstützung.

Im Oktober 2019 liess sich B.A._ von seiner Schweizer Ehefrau scheiden. Im Februar 2020 beantragten er und die Beschwerdeführerin die Vorbereitung einer Eheschliessung, was jedoch von den kantonalen Behörden (Zivilstandsamt, Sicherheitsdirektion, Obergericht) bis August 2021 abgelehnt wurde, da Anzeichen für eine Scheinehe vorlagen. Trotz dieser Ablehnung heirateten A.A._ und B.A.__ am 12. Oktober 2021 in Nordmazedonien. Diese Ehe wurde im Mai 2022 im schweizerischen Zivilstandsregister eingetragen. Im Juni 2022 beantragte die Beschwerdeführerin bei der Einwohnergemeinde Biel den Familiennachzug zu ihrem Schweizer Ehemann.

Bereits zuvor hatte die Einwohnergemeinde Biel im Juli 2020 die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin verweigert und ihre Wegweisung verfügt. Die dagegen erhobenen Beschwerden bei der Sicherheitsdirektion und dem Verwaltungsgericht wurden abgewiesen (letztinstanzlich durch das Verwaltungsgericht am 19. März 2024).

Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

  1. Zulässigkeit der Beschwerde (E. 1):

    • Das Bundesgericht prüft zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG. Diese ist im Ausländerrecht nur gegeben, wenn Bundes- oder Völkerrecht einen Anspruch auf die Bewilligung einräumt.
    • Die Beschwerdeführerin beruft sich auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK / Art. 13 Abs. 1 BV).
    • Privatleben (E. 1.1.1): Bei einem rechtmässigen Aufenthalt von rund zehn Jahren (wie hier der Fall) kann davon ausgegangen werden, dass die sozialen Beziehungen so eng sind, dass die Aufenthaltsbeendigung besonderer Gründe bedarf (BGE 149 I 72 E. 2.1.2). Die Beschwerdeführerin beruft sich auf über zehn Jahre Aufenthalt, was einen potenziellen Schutz des Privatlebens begründet und die Zulässigkeit in vertretbarer Weise darlegt. Die Frage der Integration wird materiell geprüft.
    • Familienleben (E. 1.1.2): Die Beschwerdeführerin ist mit einem Schweizer verheiratet (Art. 42 Abs. 1 AIG). Dies begründet ebenfalls einen potenziellen Anspruch auf Familiennachzug und damit auf eine Bewilligung, was die Zulässigkeit der Beschwerde auch unter diesem Aspekt gewährleistet.
    • Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt (E. 1.2).
  2. Umfang der richterlichen Prüfung / Streitgegenstand (E. 3):

    • Die Beschwerdeführerin rügt, das Verwaltungsgericht habe den Streitgegenstand falsch umrissen, indem es ihren Anspruch auf Familiennachzug zum Ehemann (aufgrund der Heirat von 2021) geprüft habe, obwohl sie formell nur die Verlängerung ihrer bisherigen Bewilligung beantragt und noch kein formelles Gesuch um Familiennachzug gestellt habe. Dies entziehe ihr zwei kantonale Instanzen.
    • Das Bundesgericht hält fest, dass der Streitgegenstand die Aufenthaltsbewilligung als solche ist. Die rechtlichen Grundlagen, auf die sich ein allfälliger Bewilligungsanspruch stützt (z.B. Art. 42 Abs. 1 AIG nach der Heirat), sind keine Frage des Streitgegenstands, sondern der rechtlichen Begründung des Anspruchs (E. 3.3).
    • Gemäss Art. 110 BGG muss mindestens ein kantonales Gericht das Recht von Amtes wegen anwenden und den Sachverhalt frei prüfen. Das Verwaltungsgericht war die erste und einzige kantonale Gerichtsinstanz, die über die Beschwerde gegen die Nichtverlängerung zu entscheiden hatte. Es musste daher die Sachverhaltsentwicklung bis zum Zeitpunkt seines Urteils berücksichtigen, einschliesslich der erneuten Eheschliessung im Oktober 2021 und deren Eintragung im Mai 2022 (E. 3.4).
    • Das Verwaltungsgericht hat den Streitgegenstand somit korrekt umrissen, und eine Rückweisung ist nicht veranlasst.
  3. Annahme einer Scheinehe / Sachverhaltsfeststellung (E. 4):

    • Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Annahme einer Scheinehe durch die Vorinstanz sei willkürlich.
    • Rechtliche Kriterien für Scheinehe (E. 4.1): Eine Scheinehe liegt vor, wenn mindestens einem Ehegatten der Wille zur Führung einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen, körperlichen und spirituellen Lebensgemeinschaft fehlt. Reine ausländerrechtliche Motive genügen nicht, aber klare Indizien sind erforderlich. Die Beweiswürdigung der Indizien ist Sachverhaltsfeststellung (nur auf Willkür prüfbar, Art. 97 Abs. 1 BGG), die Schlussfolgerung, ob die Berufung auf die Ehe rechtsmissbräuchlich ist, ist eine Rechtsfrage (frei prüfbar).
    • Würdigung der Vorinstanz (E. 4.2): Die Vorinstanz stützte sich auf die bereits im Verfahren zur Eheschliessungsvorbereitung vom Obergericht festgestellten, gewichtigen Indizien für eine Scheinehe zum damaligen Zeitpunkt (Getrenntleben, schlechte Kenntnis der Verhältnisse, zeitlicher Zusammenhang mit Bewilligungsende). Sie verneinte auch das Vorliegen eines nachträglich entstandenen echten Ehewillens (amor superveniens). Insbesondere seien die Wohnverhältnisse weiterhin unklar gewesen (verzögerte Abmeldung, früherer Wohnsitz).
    • Argumente der Beschwerdeführerin (E. 4.3): Sie bringt vor, ihre Ehe sei eine moralische und kulturell bedingte Ehe zur "allgemeinen Sicherung" (wirtschaftlich, moralisch, sozial), nicht aber eine klassische Liebesheirat mit körperlicher und spiritueller Verbundenheit. Solche Heiratsgründe seien legitim. Sie und ihr Mann würden nun zusammenwohnen. Die Verzögerung bei Adressänderungen sei auf mangelnde administrative/sprachliche Kenntnisse zurückzuführen.
    • Beurteilung des Bundesgerichts (E. 4.3.1 ff.): Das Bundesgericht weist darauf hin, dass für Familiennachzug eine Realbeziehung erforderlich ist, die eine auf Dauer konzipierte wirtschaftliche, körperliche und spirituelle Vereinigung umfasst. Die Beschwerdeführerin räumt selbst ein, dass die körperliche und spirituelle Komponente fehlt. Daher ist die Verneinung einer Realbeziehung durch die Vorinstanz nicht willkürlich. Ihre weiteren Argumente relativieren lediglich die Indizien, widerlegen sie aber nicht substanziiert. Eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung liegt nicht vor.
    • Schlussfolgerung zu Scheinehe: Das Bundesgericht bestätigt, dass die Vorinstanz ohne in Willkür zu verfallen auf eine Scheinehe schliessen durfte. Daher kann die Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf Bewilligung gestützt auf Art. 42 Abs. 1 AIG geltend machen (E. 4.3.3).
  4. Anspruch aus Art. 8 EMRK / Art. 13 BV (Privat- und Familienleben) (E. 5):

    • Privatleben (E. 5.1): Obwohl die Beschwerdeführerin über zehn Jahre rechtmässig in der Schweiz war, ist sie nach Ansicht des Gerichts nicht genügend integriert, um daraus einen Anspruch abzuleiten. Ihre Deutschkenntnisse sind gering, soziale Kontakte beschränken sich auf engste Familie. Sie hat erhebliche Sozialhilfe bezogen und Verlustscheine generiert. Trotz langjährigem Aufenthalt fehlt die berufliche, wirtschaftliche, sprachliche und soziale Integration. Daher greift die Nichtverlängerung nicht in ihr durch Art. 8 EMRK/Art. 13 BV geschütztes Privatleben ein.
    • Familienleben (E. 5.2):
      • Rechtliche Kriterien (E. 5.2.1): Art. 8 EMRK schützt eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung zu einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person, wenn das Familienleben nicht zumutbar anderswo gepflegt werden kann. Neben der Kernfamilie (Ehegatten, minderjährige Kinder) fallen auch andere Beziehungen darunter, wenn ein über die üblichen emotionalen Bindungen hinausgehendes besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht (BGE 147 I 268 E. 1.2.3). Bei Eltern-Erwachsenen-Beziehungen muss die besondere Abhängigkeit (Pflegebedürftigkeit) des in der Schweiz fest anwesenheitsberechtigten Angehörigen bestehen und die Pflege unabdingbar vom ausländischen Familienmitglied erbracht werden müssen.
      • Beziehung zur Tochter C.A.__ (E. 5.2.2): Die Beschwerdeführerin macht die schwere psychische Erkrankung der Tochter geltend. Das Arztzeugnis (Dez. 2018) bestätigt die Krankheit, aber nicht, dass die notwendige Unterstützung nur von der Beschwerdeführerin geleistet werden kann. Das Gericht geht davon aus, dass ihrer Tochter in der Schweiz angemessene Hilfeleistungen zur Verfügung stehen und andere Familienmitglieder oder Dritte die Pflege übernehmen können. Ein personenbezogenes Abhängigkeitsverhältnis, das über übliche Bindungen hinausgeht und ihre Anwesenheit unabdingbar macht, wurde nicht dargetan.
      • Beziehung zum Ehemann B.A.__ (E. 5.2.3): Diese Beziehung verschafft keinen Bewilligungsanspruch, da es sich - basierend auf der nicht willkürlichen Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz - um eine Scheinehe handelt. Eine solche ist nicht schützenswert im Sinne von Art. 8 EMRK/Art. 13 BV.
    • Schlussfolgerung zum Familienleben (E. 5.2.4): Auch aus dem Recht auf Achtung des Familienlebens kann die Beschwerdeführerin keinen Bewilligungsanspruch ableiten.
    • Verhältnismässigkeit / Widerrufsgrund (E. 5.3): Da die Nichtverlängerung der Bewilligung - soweit der Schutzbereich überhaupt berührt ist - keinen Eingriff in die geschützten Rechte gemäss Art. 8 EMRK / Art. 13 BV darstellt, hat keine Verhältnismässigkeitsprüfung zu erfolgen. Ebenso ist es ohne Belang, ob ein formeller Widerrufsgrund gegeben ist, wenn von vornherein kein schützenswertes Aufenthaltsrecht besteht.

Ergebnis

Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen (E. 6). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, da die Beschwerde von vornherein als aussichtslos betrachtet werden musste. Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab. Es bestätigte, dass das kantonale Verwaltungsgericht korrekt den potenziellen Anspruch auf Familiennachzug zum Schweizer Ehemann in seine Prüfung einbezog, da dies als erste kantonale Gerichtsinstanz seine Pflicht war. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass es sich bei der Ehe um eine nicht schützenswerte Scheinehe handelt, wurde vom Bundesgericht als nicht willkürlich bestätigt, basierend auf den gewichtigen Indizien, die gegen eine echte, auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft sprachen. Weiterhin verneinte das Gericht einen Bewilligungsanspruch gestützt auf das Recht auf Privatleben, da die Beschwerdeführerin trotz langjährigem Aufenthalt (über 10 Jahre) als ungenügend integriert (sprachlich, sozial, wirtschaftlich) galt. Auch aus dem Recht auf Familienleben konnte kein Anspruch abgeleitet werden: Die Beziehung zur psychisch kranken erwachsenen Tochter wurde als nicht schützenswert im Sinne eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses qualifiziert, da die Unabdingbarkeit ihrer Pflege nicht dargetan war, und die Beziehung zum Ehemann war wegen der Scheinehe nicht geschützt. Da kein schützenswertes Privat- oder Familienleben vorlag, war keine Verhältnismässigkeitsprüfung der Massnahme erforderlich und die Frage eines Widerrufsgrundes wurde irrelevant. Die Beschwerde wurde mangels eines bestehenden Bewilligungsanspruchs abgewiesen und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als aussichtslos zurückgewiesen.