Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1218/2023 vom 7. Mai 2025

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Gerne, hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 6B_1218/2023 des Schweizerischen Bundesgerichts:

Zusammenfassung des Urteils 6B_1218/2023 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 7. Mai 2025

1. Einleitung und Gegenstand des Verfahrens

Das Urteil betrifft eine Beschwerde in Strafsachen gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 29. August 2023. Der Beschwerdeführer wurde vom Obergericht des Diebstahls, der mehrfachen Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs (Anklageziffer 1.1) für schuldig befunden und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren, einer Busse sowie einer Landesverweisung von fünf Jahren verurteilt. Das Bundesgericht hatte insbesondere zu prüfen, ob die vorinstanzliche Schuldfeststellung willkürlich war, ob das Anklageprinzip verletzt wurde und ob die Strafzumessung bundesrechtskonform erfolgte, namentlich im Hinblick auf die Berücksichtigung der Landesverweisung.

2. Sachverhaltliche Grundlagen

Das Obergericht stellte für Anklageziffer 1.1 fest, dass der Beschwerdeführer zusammen mit einem Mittäter (B.__) in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 2019 in die Räumlichkeiten des Betreibungsamtes Baden einbrach. Dabei brachen die Täter ein Fenster auf, wodurch ein Sachschaden von über CHF 7'000 entstand. Sie entwendeten einen ca. 190 kg schweren Tresor mit Bargeld im Wert von CHF 3'025.40, den sie später gewaltsam aufbrachen. Der Zeitwert des Tresors wurde auf ca. CHF 3'000 geschätzt.

Die Schuldfeststellung des Obergerichts stützte sich massgeblich auf folgende Indizien: * Der Fund eines Handschuhs in unmittelbarer Nähe des Tresor-Fundorts, der eine DNA-Mischspur des Beschwerdeführers und seines Mittäters aufwies. * Die Auswertung der Randdaten des Mobiltelefons des Beschwerdeführers, die zeigte, dass er in der Tatnacht zwischen 2.06 und 2.12 Uhr aktiv war, zwischen 2.07 und 6.04 Uhr keinen Antennenstandort verzeichnete und um 6.04 Uhr mit einem Funkmasten verbunden war, der dem Fundort des Tresors räumlich zugeordnet werden konnte. * Das hohe Gewicht des Tresors von ca. 190 kg, das zwingend die Beteiligung mehrerer Personen am Abtransport erforderte.

3. Rügen des Beschwerdeführers und rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

3.1 Willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Grundsätze "in dubio pro reo", "nemo tenetur" und rechtliches Gehör

Der Beschwerdeführer rügte eine willkürliche Beweiswürdigung. Er bestritt die Aussagekraft des Handschuhfundes (Erklärung durch berufliche Tätigkeit im Baugewerbe, Verlust auf Baustelle), der Handy-Randdaten (komplex für Laien, Anwesenheit am Fundort sei üblich) und die Feststellung seiner Tatbeteiligung (unklar, welcher konkrete Beitrag, Ausschluss von blossem "Schmiere stehen" sei willkürlich). Er machte zudem geltend, die Schadenshöhen seien nicht belegt.

Das Bundesgericht wies diese Rügen im Wesentlichen ab: * Beweiswürdigung (Willkür): Das Bundesgericht wiederholte den Massstab der Willkür (schlechterdings unhaltbar) und des Grundsatzes "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel (keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung). Die vorinstanzliche Würdigung wurde als nicht willkürlich befunden. Die Erklärung des Beschwerdeführers für den Handschuhfund wurde vom Obergericht als Schutzbehauptung gewertet, was das Bundesgericht angesichts der Umstände (Fundort nahe Tresor, DNA beider Täter) als haltbar erachtete. Die Interpretation der Handy-Randdaten, die eine Anwesenheit des Beschwerdeführers am Fundort des Tresors zur fraglichen Zeit belegten, wurde ebenfalls nicht als willkürlich angesehen, da der Beschwerdeführer die technische Auswertung nicht substanziiert in Frage stellte. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer in einem anderen Anklagepunkt (1.2) freigesprochen wurde, basierte auf einer anderen Beweislage und begründe keinen Widerspruch. * Schadenshöhen: Das Bundesgericht stellte klar, dass die Schadenshöhe (Fenster, Tresorwert) lediglich in die Strafzumessung eingeflossen sei. Da die Zivilforderungen auf den Zivilweg verwiesen wurden, genüge hierfür eine grobe Schätzung, und die genaue Bezifferung sei für die Strafzumessung nicht entscheidend. * "in dubio pro reo" (Beweislastregel) und "nemo tenetur": Das Bundesgericht prüfte, ob die Verurteilung lediglich auf dem Nichterweis der Unschuld basierte oder der Beschwerdeführer zur Selbstbelastung gezwungen wurde. Es verneinte dies. Das Obergericht habe den Schuldspruch auf die verfügbaren Beweise gestützt. Das Gericht darf, ohne den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweislastregel oder den "nemo tenetur"-Grundsatz zu verletzen, eine fehlende plausible Erklärung der beschuldigten Person für belastende Beweiselemente bei der Beweiswürdigung berücksichtigen, wenn eine solche Erklärung vernünftigerweise erwartet werden kann. Dies war hier der Fall (Anwesenheit am Fundort, DNA am Handschuh). * Rechtliches Gehör (Begründungspflicht): Das Bundesgericht befand, dass das Obergerichtsurteil die Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG) erfüllte. Die Feststellung, der Beschwerdeführer sei am Einbruchdiebstahl "beteiligt" gewesen, impliziere eine massgebliche Beteiligung im Sinne der Mittäterschaft. Der Ausschluss von blossem "Schmiere stehen" sei angesichts der Beweislage (DNA, Tresorgewicht, Anwesenheit) nicht willkürlich. Weitergehende Feststellungen zur genauen Arbeitsteilung seien für die Strafbarkeit nicht notwendig gewesen.

Die Rügen betreffend die Sachverhaltsfeststellung und die damit zusammenhängenden Verfahrensgrundsätze wurden somit als unbegründet abgewiesen.

3.2 Verletzung des Anklageprinzips

Der Beschwerdeführer argumentierte, die Anklage habe ihn als Haupttäter dargestellt, der alle Handlungen eigenhändig vorgenommen habe, während das Obergericht ihn als Mittäter verurteilte. Dies verletze das Anklageprinzip.

Das Bundesgericht wies diese Rüge als offensichtlich unbegründet zurück. Es hielt fest, dass das Gericht an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden ist (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an die rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (Art. 350 Abs. 1 StPO). Die Anklageschrift werfe dem Beschwerdeführer unter Ziff. 1.1 ausdrücklich vor, den Einbruchdiebstahl "alleine oder ev. in Begleitung eines unbekannten Mittäters" begangen zu haben. Die Verurteilung als Mittäter beruhte somit auf einem Sachverhalt, der in der Anklage enthalten war.

3.3 Strafzumessung und Berücksichtigung der Landesverweisung

Der Beschwerdeführer rügte die Strafzumessung, insbesondere dass die gleichzeitig angeordnete Landesverweisung nicht strafmindernd berücksichtigt worden sei, obwohl sie pönalen Charakter habe.

Das Bundesgericht ging detailliert auf die Frage ein, ob die Landesverweisung bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist: * Es stellte fest, dass in der Lehre teilweise die Auffassung vertreten wird, die Landesverweisung habe Strafcharakter und sei bei der Strafzumessung (zur Vermeidung von Doppelbestrafung oder zur Sicherung der Gesamtverhältnismässigkeit von Strafe und Massnahme) zu berücksichtigen. * Das Bundesgericht bekräftigte jedoch seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Landesverweisung nach Art. 66a ff. StGB primär eine sichernde Massnahme und keine Strafe sei. Sie finde keinen Niederschlag in den Strafzumessungskriterien von Art. 47 StGB. * Zur Begründung verwies das Gericht auf die systematische Einordnung der Landesverweisung im StGB unter "Massnahmen" und die Intention des Gesetzgebers, sie als sichernde Massnahme zu verstehen. Zwar könne sie die betroffene Person hart treffen, dies ändere aber nichts an ihrem Massnahmecharakter, ähnlich wie ausländerrechtliche Einreiseverbote. * Das Gericht zog Vergleiche zur altrechtlichen Landesverweisung (aArt. 55 StGB), die trotz Einordnung bei den Nebenstrafen bereits primär als Massnahme verstanden wurde, sowie zu ausländerrechtlichen Folgen von Verurteilungen vor Inkrafttreten von Art. 66a StGB (AIG). Auch diese führten gemäss konstanter Rechtsprechung nicht zu einer Strafminderung. * Die Nichtberücksichtigung der Landesverweisung bei der Strafzumessung stelle keine unzulässige Doppelbestrafung dar, da es sich um unterschiedliche Rechtsinstitute (Strafrecht vs. Ausländerrecht/Massnahme) handle. Die Verhältnismässigkeit der Landesverweisung sei separat im Rahmen ihrer Anordnung (und bei Vorliegen eines Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB unter Berücksichtigung der Wirkung der ausgesprochenen Strafe auf das künftige Wohlverhalten) zu prüfen, nicht durch Reduktion der Hauptstrafe. * Das Gericht hielt an der Rechtsprechung fest, dass die Landesverweisung bei der Bemessung der Freiheits- oder Geldstrafe nicht strafmindernd zu berücksichtigen ist. Die Rüge des Beschwerdeführers wurde daher als unbegründet abgewiesen. * Die übrige Kritik an der Strafzumessung (Bewertung der Tatumstände, anwendbarer Strafrahmen für Diebstahl) wurde ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen. Die Einsatzstrafe von 16 Monaten für den Diebstahl wurde als hoch, aber noch im Rahmen des sachrichterlichen Ermessens liegend beurteilt.

4. Ergebnis

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde. Die vorinstanzliche Schuldfeststellung basierte auf einer nicht willkürlichen Beweiswürdigung, das Anklageprinzip wurde nicht verletzt und die Strafzumessung hielt sich im Rahmen des gesetzlichen Ermessens. Die Landesverweisung als sichernde Massnahme ist bei der Bemessung der Hauptstrafe nicht strafmindernd zu berücksichtigen.

5. Anordnung der unentgeltlichen Rechtspflege

Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wurde gutgeheissen, da seine Bedürftigkeit ausgewiesen war und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos erschien. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben und der Rechtsvertreter wurde entschädigt.

Kurzzusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs, basierend auf einer nicht willkürlichen Beweiswürdigung (DNA-Spuren, Handy-Randdaten, Tresorgewicht).
  • Die Anwendung der Grundsätze "in dubio pro reo" und "nemo tenetur" durch die Vorinstanz wurde als korrekt befunden; die Berücksichtigung der fehlenden plausiblen Erklärung für belastende Beweise ist zulässig.
  • Eine Verletzung des Anklageprinzips wurde verneint, da die Anklage die Möglichkeit eines Mittäters bereits enthielt.
  • Das Bundesgericht bekräftigte seine Rechtsprechung, wonach die strafrechtliche Landesverweisung primär eine sichernde Massnahme und keine Strafe ist und daher bei der Bemessung der Freiheits- oder Geldstrafe nicht strafmindernd zu berücksichtigen ist. Eine unzulässige Doppelbestrafung liegt nicht vor.
  • Die Strafzumessung im Übrigen wurde als bundesrechtskonform beurteilt.
  • Die Beschwerde wurde abgewiesen.