Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_239/2024 vom 5. Juni 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichtsentscheids 1C_239/2024 vom 5. Juni 2025, einschliesslich der massgebenden rechtlichen Argumente und der Begründung des Gerichts.

Bundesgerichtsentscheid 1C_239/2024 vom 5. Juni 2025

Verfahrensbeteiligte: * Beschwerdeführer: A._ und B._ (Nachbarn, Eigentümer des angrenzenden Grundstücks yyy) * Beschwerdegegner: C._ und D._ (Baugesuchsteller, künftige Eigentümer des Grundstücks xxx), Gemeinde Mesocco

Gegenstand: Baubewilligung

Vorinstanz: Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer (Urteil vom 23. Januar 2024)

Sachverhalt: Die Baugesuchsteller C._ und D._ reichten am 25. Januar 2023 ein Baugesuch für ein neues Einfamilienhaus auf dem Grundstück xxx in Pian San Giacomo, Gemeinde Mesocco (Zone R2PSG, Wohnzone 2) ein. Dieses Grundstück war Teil eines Kaufrechts, das zugunsten der Baugesuchsteller im Grundbuch eingetragen war. Die Gemeinde Mesocco hatte zuvor eine Planungszone für das gesamte Gemeindegebiet bis zum 10. März 2025 verlängert, da die baurechtlichen Zonen, insbesondere die Wohn-, Misch- und Zentrumszonen (RMC-Zonen), als überdimensioniert galten und gemäss Art. 15 des Raumplanungsgesetzes (RPG) reduziert werden sollten. Die Nachbarn A._ und B._ erhoben Einsprache gegen das Bauvorhaben. Sie machten unter anderem geltend, das Projekt stelle einen Umgehungsversuch des Zweitwohnungsverbots dar, widerspreche der geltenden Planungszone und füge sich nicht ins Landschaftsbild ein. Die Gemeinde wies die Einsprache ab und erteilte die Baubewilligung unter der Auflage, dass das neue Gebäude als Erstwohnung genutzt werden müsse. Die Nachbarn gelangten daraufhin an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, welches die Beschwerde mit Urteil vom 23. Januar 2024 abwies. Gegen dieses Urteil reichten die Nachbarn Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht ein.

Massgebende rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts:

  1. Zulässigkeit (Kurzfassung): Das Bundesgericht prüfte die Zulässigkeit der Beschwerde und bestätigte im Wesentlichen, dass diese als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid in einer Bausache zulässig sei. Die Legitimation der Nachbarn wurde bejaht. Sekundäre Aspekte wie Eintreten und Kostenverteilung werden gemäss Vorgabe hier nicht vertieft dargestellt, da sie für die materiellen Rechtsfragen nicht entscheidend sind.

  2. Verstoss gegen das Zweitwohnungsgesetz (LASec): Die Vorinstanz (Verwaltungsgericht) hatte festgestellt, dass das geplante Gebäude als Erstwohnung realisiert werden solle und somit kein Umgehungsversuch des Verbots von Zweitwohnungen vorliege. Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerdeführer diese Schlussfolgerung nicht bestritten. Dieser Punkt war somit im Verfahren vor Bundesgericht nicht mehr strittig und wurde folglich nicht vertieft geprüft.

  3. Widerspruch zur Planungszone und überdimensionierten Bauzonen (Art. 15 und 27 RPG): Dies war einer der zentralen Streitpunkte.

    • Argument der Beschwerdeführer: Das Projekt stehe im Widerspruch zur Planungszone, die aufgrund der überdimensionierten Bauzonen der Gemeinde Mesocco (gemäss Art. 15 RPG) erlassen wurde. Das Grundstück sei keine sogenannte "Baulücke".
    • Rechtlicher Rahmen: Art. 15 Abs. 1 und 2 RPG schreibt vor, dass Bauzonen dem voraussichtlichen Bedarf für 15 Jahre entsprechen müssen und überdimensionierte Zonen reduziert werden müssen. Art. 27 Abs. 1 RPG erlaubt den Erlass von Planungszonen für begrenzte Gebiete, in denen nichts unternommen werden darf, was die Nutzungsplanung erschweren könnte. Art. 21 Abs. 2 des Raumentwicklungsgesetzes des Kantons Graubünden (REG/GR) präzisiert, dass Bauvorhaben in einer Planungszone nur bewilligt werden dürfen, wenn sie weder den rechtskräftigen noch den neuen, vorgesehenen Planungen und Vorschriften widersprechen oder diese erschweren.
    • Rechtsprechung des Bundesgerichts: Bei überdimensionierten Bauzonen müssen die Gemeinden vor der Erteilung von Baubewilligungen für unbebaute Grundstücke eine globale Überprüfung der Bauzonen vornehmen (BGE 148 II 417 E. 3). Eine Baubewilligung für ein unbebautes Grundstück innerhalb einer Planungszone, die der Reduktion überdimensionierter Zonen dient, ist nur zulässig, wenn die Zuweisung des Grundstücks zu einer Nichtbauzone aufgrund seiner Lage nicht ernsthaft in Betracht fällt oder ausgeschlossen werden kann (BGE 148 II 417 E. 3.6.2). Dies ist insbesondere der Fall, wenn es sich um eine "Baulücke" handelt.
    • Abgrenzung "Baulücke" vs. "grössere unüberbaute Fläche im Siedlungsgebiet": Das Bundesgericht (unter Verweis auf die Vorinstanz und ältere Rechtsprechung, z.B. BGE 132 II 218) erläuterte die massgebenden Kriterien:
      • Baulücke: Unbebaute Einzelparzellen, die unmittelbar an bebaute Grundstücke angrenzen, meist erschlossen und relativ klein. Ihre Nutzung wird massgeblich von der Umgebung bestimmt. Sie sind Teil des geschlossenen Siedlungsgebiets und durch die bestehenden Bauten so geprägt, dass vernünftigerweise nur eine Zuweisung (oder Beibehaltung) zur Bauzone in Frage kommt.
      • Grössere unüberbaute Fläche im Siedlungsgebiet: Dienen primär der Auflockerung der Siedlungsstruktur (Grünflächen, Freiräume). Sie sind nicht durch die Umgebungsbauten geprägt, haben eine eigenständige Funktion und gehören nicht zum weitgehend überbauten Gebiet. Sie stellen in erster Linie potenziell für eine Dezonierung geeignete Flächen dar.
    • Anwendung auf den vorliegenden Fall durch die Vorinstanz (vom Bundesgericht bestätigt):
      • Das fragliche Grundstück (537 m²) liegt in Pian San Giacomo, zwischen zwei bereits bebauten Grundstücken und grenzt an eine Erschliessungsstrasse mit weiteren Wohnhäusern.
      • Es ist vollständig erschlossen und hat keine eigenständige Funktion (wie z.B. eine Grünfläche).
      • Aufgrund seiner geringen Grösse und Lage ist es durch die umliegenden Bauten charakterisiert.
      • Die Vorinstanz gelangte zur Schlussfolgerung, dass das Grundstück trotz der Angrenzung an die Landwirtschaftszone auf der Rückseite eine "Baulücke" darstellt.
      • Die vom Gemeinderat verabschiedete "Linie guida territoriale comunale - Mesocco" (LGTC) und die kantonalen technischen Weisungen zur Bedarfsermittlung bei Bauzonen sahen vor, dass in Pian San Giacomo grosse Bauzonenreserven vorhanden sind, die potenziell reduziert werden könnten. Jedoch enthielten die kantonalen Analysen (UST) primär unbebaute zusammenhängende Flächen von über 0.3 ha. Das streitige Grundstück mit 537 m² (= 0.0537 ha) fällt nicht in diese Kategorie.
      • Zudem sehen die technischen Weisungen des Kantons Graubünden eine Prioritätenordnung für die Reduktion von RMC-Zonen vor: Als vierte und letzte Priorität kommen erschlossene Reserven innerhalb des Siedlungsgebiets in Betracht, was auf das streitige Grundstück zutrifft. Zuerst sollen unbebaute Reserven am Siedlungsrand und bedeutende Freiräume dezoniert werden.
      • Die Vorinstanz kam basierend auf einer globalen Würdigung (Grösse, Lage, Erschliessung, geringe Dezonierungspriorität) zum Schluss, dass eine Dezonierung des Grundstücks xxx nicht ernsthaft in Betracht falle. Die kommunale Planungskommission habe zudem bestätigt, dass das Bauprojekt eine logische Ergänzung der bestehenden Bebauung in diesem Bereich darstelle.
    • Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht fand die detaillierte Begründung der Vorinstanz schlüssig und nicht willkürlich. Die Beschwerdeführer konnten keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung nachweisen. Ihre Argumente stützten sich teilweise auf ein historisch-urbanistisches Gutachten, dessen Relevanz für die Anwendung der geltenden raumplanungsrechtlichen Normen das Gericht verneinte. Sie setzten den Schlussfolgerungen der Vorinstanz lediglich ihre eigenen Ansichten entgegen oder verwiesen auf Ausführungen in der kantonalen Beschwerde, was nach ständiger Rechtsprechung unzulässig ist (da die Begründung im Rechtsschrift selbst enthalten sein muss). Das Bundesgericht bestätigte, dass die Vorinstanz zu Recht annahm, dass eine Dezonierung des Grundstücks aufgrund seiner Merkmale (Baulücke, niedrige Priorität) nicht ernsthaft in Betracht falle und die Baubewilligung somit nicht im Widerspruch zur Planungszone stehe.
  4. Landschaftliche und ästhetische Eingliederung ("guter Gesamteindruck"): Ein weiterer Hauptpunkt betraf die ästhetische Integration des geplanten Gebäudes, insbesondere des Flachdachs des Carports.

    • Argument der Beschwerdeführer: Das geplante Gebäude, insbesondere der Carport mit Flachdach, widerspreche dem architektonischen Charakter der bestehenden Bauten in Spina und füge sich nicht harmonisch in die Landschaft ein.
    • Rechtlicher Rahmen: Art. 64 Abs. 1 der kommunalen Bauordnung (BO) verlangt, dass Dächer in Bezug auf die umgebende Bausubstanz und die Siedlungsstruktur gestaltet werden. Art. 73 Abs. 1 REG/GR fordert, dass Bauten und Anlagen fachgerecht erstellt und in ihre Umgebung und Landschaft so eingepasst werden müssen, dass ein "guter Gesamteindruck" entsteht.
    • Rechtsprechung des Bundesgerichts: Die Beurteilung des "guten Gesamteindrucks" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Baubewilligungsbehörde einen erheblichen Beurteilungsspielraum einräumt. Beschwerdeinstanzen haben diesen Spielraum zu respektieren und üben eine gewisse Zurückhaltung bei der Überprüfung der ästhetischen Eingliederung aus (BGE 145 I 52 E. 3.6). Das Bundesgericht selbst auferlegt sich bei der Überprüfung von lokalen Ästhetikklauseln besondere Zurückhaltung, da die kantonalen und kommunalen Behörden die lokalen Gegebenheiten besser kennen.
    • Anwendung auf den vorliegenden Fall durch die Vorinstanz (vom Bundesgericht bestätigt):
      • Die Vorinstanz stellte (basierend auf den Akten, Fotos und Google Street View) fest, dass die Bebauung in der Zone Spina sehr heterogen sei hinsichtlich Farben, Materialien, Dachformen und -neigungen. Es gebe keinen spezifischen, für die Zone charakteristischen Gebäudetyp.
      • Während die Dächer mehrheitlich Giebeldächer seien, gebe es auch Bauten mit Flachdächern (z.B. das Elektrizitätswerk, eine Kabine).
      • Das geplante Einfamilienhaus selbst (Pultdach mit Ziegeln, hellgrau/weisser Verputz) wurde als mit den umliegenden Bauten harmonierend beurteilt.
      • Zum Carport mit Flachdach hielt die Vorinstanz fest, dass Flachdächer in dieser Wohnzone grundsätzlich zulässig seien. Der Carport sei zudem nicht die einzige Konstruktion mit Flachdach in der Zone (auch wenn die anderen Flachdachbauten technische Anlagen sind).
      • Angesichts der festgestellten Heterogenität der Bebauung und der grundsätzlichen Zulässigkeit von Flachdächern befand die Vorinstanz, dass die Gemeinde ihren weiten Ermessensspielraum bei der Beurteilung des guten Gesamteindrucks nicht missbraucht habe.
    • Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht wies die appellatorischen Vorbringen der Beschwerdeführer zurück. Sie konnten die Feststellung der Vorinstanz zur Heterogenität der Bebauung in Spina nicht substanziiert bestreiten. Ihre Argumente zur angeblich fehlenden architektonischen Harmonie blieben unsubstanziiert und widersprachen den Feststellungen der Vorinstanz. Auch beim Flachdach des Carports konnten die Beschwerdeführer keine Willkür nachweisen. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Gemeinde, gestützt auf ihren weiten Ermessensspielraum und in Anbetracht der lokalen Gegebenheiten und der grundsätzlichen Zulässigkeit von Flachdächern in der Zone, die ästhetische Eingliederung zulässigerweise bejahen konnte.

Querverweise und Kontext: Die Entscheidung reiht sich in die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Anwendung von Art. 15 und 27 RPG ein, insbesondere im Zusammenhang mit der Reduktion überdimensionierter Bauzonen (vgl. BGE 148 II 417). Sie bekräftigt die Kriterien zur Unterscheidung zwischen einer Baulücke, die typischerweise bebaut werden darf, und grösseren unbebauten Flächen, die eher für eine Dezonierung in Frage kommen (vgl. BGE 132 II 218). Ebenso folgt die Entscheidung der etablierten Linie zur Überprüfung ästhetischer Bauvorschriften und des Konzepts des "guten Gesamteindrucks", wonach den lokalen Behörden ein weiter Ermessensspielraum zusteht und das Bundesgericht Zurückhaltung übt (vgl. BGE 145 I 52).

Schlussfolgerung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bestätigte, dass das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden die geltenden raumplanungsrechtlichen Vorschriften und die kommunale bzw. kantonale Gesetzgebung korrekt angewendet und den Sachverhalt nicht willkürlich festgestellt hat. Weder steht das Bauvorhaben im Widerspruch zur Planungszone und den Zielen der Bauzonenreduktion (da es sich um eine Baulücke mit sehr niedriger Dezonierungspriorität handelt), noch verstösst es gegen die Anforderungen an die landschaftliche und ästhetische Eingliederung (da die Beurteilung des guten Gesamteindrucks im Rahmen des Ermessensspielraums der Gemeinde liegt).

Entscheid im Dispositiv: Die Beschwerde wird, soweit darauf eingetreten wird, abgewiesen. Die Gerichtskosten werden den Beschwerdeführern auferlegt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Das Bauprojekt wurde vom Gericht als Erstwohnung qualifiziert, wodurch ein Verstoss gegen das Zweitwohnungsgesetz ausschied.
  • Das Gericht bestätigte die Beurteilung der Vorinstanz, dass das Grundstück trotz der Planungszone zur Reduktion überdimensionierter Bauzonen bebaut werden darf. Dies, weil es sich um eine "Baulücke" handelt, die aufgrund ihrer geringen Grösse, Lage zwischen bestehenden Bauten und vollständigen Erschliessung nicht ernsthaft für eine Dezonierung in Frage kommt und zudem in der Prioritätenordnung für die Bauzonenreduktion an letzter Stelle steht.
  • Die Rügen bezüglich der landschaftlichen und ästhetischen Eingliederung wurden abgewiesen. Das Gericht befand, dass die Heterogenität der bestehenden Bebauung in Spina sowie die grundsätzliche Zulässigkeit von Flachdächern (insbesondere für einen Carport) die Beurteilung der Gemeinde, wonach das Projekt einen guten Gesamteindruck erziele, rechtfertigen und im Rahmen des weiten Ermessensspielraums der Behörden liege.
  • Das Bundesgericht wies die Beschwerde im Wesentlichen ab.