Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_682/2024 vom 20. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 4A_682/2024 des Schweizerischen Bundesgerichts:

Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_682/2024 vom 20. Mai 2025

1. Hintergrund des Falls

Der Fall betrifft die Zivilrechtsbeschwerde eines ehemaligen russischen Biathleten (A.__, im Folgenden: Beschwerdeführer) gegen einen Schiedsentscheid der Berufskammer des Sportschiedsgerichts (CAS) vom 18. November 2024. Dieser Entscheid bestätigte eine frühere Entscheidung der Anti-Doping-Kammer des CAS (CAD TAS) vom 27. Oktober 2020, welche eine Anti-Doping-Regelverletzung (ADRV) feststellte und eine vierjährige Sperre sowie die Disqualifikation aller Ergebnisse des Athleten zwischen Januar 2010 und Ende der Saison 2013/2014 aussprach. Die Union Internationale de Biathlon (IBU, im Folgenden: Beschwerdegegnerin) hatte das Verfahren ursprünglich eingeleitet.

Die Anschuldigungen der IBU stützten sich hauptsächlich auf Auffälligkeiten im biologischen Athletenpass (ABP) des Biathleten, der auf 17 Blutproben aus dem Zeitraum 2010-2014 basierte. Eine Expertenkommission hielt die Anomalien in einer ersten Stellungnahme 2017 für wahrscheinlich auf Blutmanipulation zurückzuführen. Der Athlet erklärte dies mit einer genetischen Variation. Neue Proben und Analysen wurden durchgeführt. Ein hinzugezogener Genetik-Experte (Prof. B.__) kam 2020 zu dem Schluss, dass die beim Athleten festgestellte genetische Variation (Mutation des Gens EGLN2) die beobachteten Werte im ABP nicht erklären könne. Daraufhin stellte die Expertenkommission in einer vierten Stellungnahme fest, dass die Anomalien mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Anwendung verbotener Substanzen oder Methoden zurückzuführen seien und genetische Faktoren oder Anabolika als Ursache ausgeschlossen werden könnten.

2. Verfahren vor dem CAS und früheren Bundesgerichtsurteilen

Nach der Anklage der IBU im Januar 2020 und der Bestreitung durch den Athleten reichte die IBU im Februar 2020 eine Klage bei der CAD TAS ein. Die CAD TAS stellte im Oktober 2020 eine ADRV fest und verhängte die Sanktionen.

Der Athlet legte Berufung bei der Berufskammer des CAS (CAA TAS) ein und gleichzeitig eine Zivilrechtsbeschwerde beim Bundesgericht (4A_612/2020). Das Bundesgericht erklärte letztere im Juni 2021 für unzulässig (BGE 147 III 500). Das CAS-Berufungsverfahren wurde daraufhin wieder aufgenommen. Nach einer Verfahrensteilung, bei der vorgängig Fragen der Zuständigkeit und Zusammensetzung der CAD TAS geprüft wurden, bestätigte die CAA TAS ihre Zuständigkeit mit Entscheid vom 8. April 2022. Auch gegen diesen Entscheid erhob der Athlet Beschwerde beim Bundesgericht (4A_232/2022), welche im Dezember 2022 (BGE 148 III 427) soweit zulässig abgewiesen wurde.

Nach weiteren Verfahrensschritten und einer Anhörung fällte die CAS-Berufskammer am 18. November 2024 den angefochtenen Endentscheid, mit dem sie die Berufung des Athleten abwies und die Entscheidung der CAD TAS bestätigte.

3. Begründung des angefochtenen CAS-Schiedsentscheids (Zusammenfassung gemäss Bundesgericht)

Das Bundesgericht referiert die Begründung des CAS-Schiedsentscheids wie folgt: * Gültigkeit der Proben: Die zur Erstellung des ABP verwendeten 17 Blutproben sind gültig und können für die Beurteilung einer ADRV berücksichtigt werden. * Zulässigkeit des Expertenberichts Prof. B.__: Der Bericht ist keine illegal beschaffte Evidenz. Der Athlet hatte 2017 zugestimmt, dass sein genetisches Material von der IBU untersucht werden darf. Die IBU durfte Experten beiziehen, um die Erklärungen des Athleten zu prüfen. Selbst bei illegaler Beschaffung wäre der Bericht aufgrund übergeordneter privater und öffentlicher Interessen anwendbar (Interessenabwägung). * Befund von Anomalien im ABP: Es gibt Anomalien im ABP des Athleten. Insbesondere die Hämoglobinwerte (HGB) weisen Auffälligkeiten auf. Die vom ABP-Software verwendeten Modelle zeigen Wahrscheinlichkeiten für Doping von über 99.9% für die HGB-Werte. Vier spezifische Proben weisen abnormale HGB-Werte auf. * Ablehnung der genetischen Erklärung: Die behauptete genetische Veranlagung des Athleten erklärt die Anomalien im ABP nicht. Der Athlet konnte nicht nachweisen, dass er dauerhaft hohe HGB-Werte hatte. Die vom Athleten vorgelegten wissenschaftlichen Beweise für den Einfluss der genetischen Variation auf die festgestellten hohen HGB-Werte basieren hauptsächlich auf Schlussfolgerungen und Hypothesen. Es liegt nicht an der IBU, alle möglichen genetischen Variationen als Ursache auszuschliessen. Der Athlet kann sich nicht darauf beschränken zu behaupten, es gäbe nicht genügend Studien hierzu. * Unerklärte Schwankungen: Selbst wenn man (was das CAS verneint) annehmen würde, dass der Athlet eine genetische Erkrankung mit hohen HGB-Werten hat, gäbe es keine Erklärung für die signifikanten Schwankungen der HGB-Werte im ABP-Zeitraum 2010-2014. Diese Schwankungen bleiben unerklärt. * Ablehnung anderer Erklärungen: Die These einer Probenkontamination wird verworfen. Die 2017 entnommenen Proben haben nur begrenzte Beweiskraft, da der Athlet wusste, dass Kontrollen möglich waren. Sie erklären zudem nicht die Schwankungen zwischen 2010 und 2014. * Indizienbeweise: Andere Elemente stützen das Vorliegen einer ADRV: * Die Hämoglobin-Peaks fallen mit wichtigen Wettkämpfen zusammen (Vancouver 2010, Sotschi 2014). Dies ist statistisch höchst unwahrscheinlich, ohne dass der Athlet eine Erklärung dafür liefert. * Der Athlet war einer der "geschützten Athleten" im russischen Dopingsystem, insbesondere während der Olympischen Spiele in Sotschi. * Fazit des CAS: Das Panel ist "to comfortable satisfaction" (hinreichend überzeugt), dass der Athlet zwischen Januar 2010 und April 2014 eine ADRV begangen hat. Die Anomalien im ABP, insbesondere die signifikanten Schwankungen der HGB-Werte, sind nicht durch die behauptete erbliche Erythrozytose oder eine Infektion erklärt. Die Indizienbeweise (zeitliche Koinzidenz der Peaks mit wichtigen Wettkämpfen und "geschützter Athlet"-Status) stützen diese Feststellung stark und entscheidend.

4. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüft die Beschwerde gestützt auf Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG i.V.m. Art. 190-192 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG), da es sich um eine internationale Schiedssache handelt (Sitz des CAS in Lausanne, keine Partei mit Sitz/Wohnsitz in der Schweiz).

Das Bundesgericht weist darauf hin, dass seine Kognition im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit stark eingeschränkt ist (Art. 77 Abs. 3 BGG, Rügeprinzip). Nur die abschliessend in Art. 190 Abs. 2 IPRG genannten Gründe können gerügt werden, und dies unter Einhaltung verschärfter Begründungsanforderungen. Appellatorische Kritik an der Beweiswürdigung oder Sachverhaltsfeststellung des Schiedsgerichts ist unzulässig (Art. 77 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht ist an den vom Schiedsgericht festgestellten Sachverhalt gebunden, es sei denn, einer der Beschwerdegründe wird gegen diesen Sachverhalt selbst vorgebracht oder es liegen ausnahmsweise neue Tatsachen oder Beweismittel vor.

Der Beschwerdeführer stützt seine Beschwerde auf den einzigen Grund der Unvereinbarkeit des Schiedsentscheids mit dem materiellen ordre public (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG). Er macht geltend, er habe keinen fairen Prozess im Sinne von Art. 6 EMRK gehabt, da die Unschuldsvermutung verletzt worden sei und der Entscheid gegen die Rechtssicherheit verstosse.

  • Prüfung der EMRK-Rügen: Das Bundesgericht hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, wonach EMRK-Garantien in einer Zivilrechtsbeschwerde gegen einen internationalen Schiedsentscheid nicht direkt geltend gemacht werden können. Prinzipien der EMRK können allenfalls zur Konkretisierung der in Art. 190 Abs. 2 IPRG genannten Gründe dienen, aber die beschwerdeführende Partei muss aufzeigen, inwiefern die behauptete EMRK-Verletzung eine Verletzung des materiellen ordre public im Sinne von Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG darstellt (BGE 147 III 586 E. 5.2.1, 146 III 358 E. 4.1). Das Bundesgericht verweist auf das (nicht definitive, vor der Grossen Kammer der EMRK hängige) Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in der Sache Semenya gegen die Schweiz und bestätigt unter Bezugnahme auf neuere eigene Rechtsprechung (4A_488/2023 vom 23. Januar 2024, 4A_474/2024 vom 6. Februar 2025), dass die direkte Berufung auf EMRK-Garantien unzulässig bleibt.

  • Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK): Der Beschwerdeführer argumentiert, das CAS habe gegen die Unschuldsvermutung und den Grundsatz in dubio pro reo verstossen, indem es ihn verurteilt habe, obwohl alle Dopingtests negativ waren und Experten genetische Erklärungen für die Anomalien sahen. Er meint, das CAS habe ihm fälschlicherweise die Beweislast für seine Unschuld auferlegt. Das Bundesgericht weist diese Rüge ab. Es betont, dass die automatische Anwendung der Unschuldsvermutung und des Prinzips in dubio pro reo, wie sie von der EMRK garantiert werden, in Disziplinarverfahren privatrechtlicher Sportverbände, die nicht über staatliche Ermittlungs- und Zwangsbefugnisse verfügen, nicht selbstverständlich ist (Verweis auf Rechtsprechung, explizit 4A_474/2024). Eine strikte Anwendung könnte das Anti-Doping-System beeinträchtigen. Da diese EMRK-Prinzipien in solchen Verfahren nicht anwendbar sind, geht die Rüge des Beschwerdeführers von einem falschen Ansatz aus und ist unbegründet. Jedenfalls (alternativ) stellt das Bundesgericht fest, dass das CAS nach eingehender Beweiswürdigung offenbar keinen vernünftigen Zweifel ("aucun doute raisonnable") am Vorliegen der ADRV hatte.

  • Verletzung der "Rechtssicherheit": Der Beschwerdeführer macht geltend, das Verfahren verstosse gegen die Rechtssicherheit, weil er erst 2020 zu Vorfällen aus dem Jahr 2010 habe Stellung nehmen müssen. Das Bundesgericht äussert zunächst Zweifel an der Zulässigkeit dieses Grundes unter Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG, da der Begriff "Rechtssicherheit" sehr vage sei. In jedem Fall sei die Argumentation des Beschwerdeführers unzutreffend. Gemäss den für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen des CAS wurde der Beschwerdeführer bereits im Mai 2017 über die Untersuchung informiert und aufgefordert, zu den ABP-Anomalien Stellung zu nehmen, was er auch tat. Es ist daher falsch, dass er erst 2020 zu Sachverhalten aus über zehn Jahren Stellung nehmen konnte. Zudem versucht der Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesgerichts unter dem Deckmantel der "Rechtssicherheit" unzulässig zu umgehen, dass die im vorliegenden Fall anwendbare Verjährungsfrist von zehn Jahren zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung nicht abgelaufen war, was er im Übrigen auch nicht bestreite. Die Rüge wird daher, soweit zulässig, abgewiesen.

5. Ergebnis

Das Bundesgericht weist die Zivilrechtsbeschwerde, soweit sie zulässig ist, ab. Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt, und dieser wird verpflichtet, der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu zahlen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Das Bundesgericht wies die Beschwerde eines Biathleten gegen einen CAS-Schiedsentscheid ab, der eine Dopingverletzung aufgrund des Biologischen Athletenpasses feststellte.
  • Die vom Athleten behauptete genetische Veranlagung wurde vom CAS als nicht ausreichend zur Erklärung der festgestellten signifikanten Hämoglobin-Schwankungen im ABP betrachtet.
  • Indizien wie das zeitliche Zusammentreffen von Hämoglobin-Peaks mit wichtigen Wettkämpfen und der Status als "geschützter Athlet" im russischen Dopingsystem stützten die CAS-Feststellung der Dopingverletzung.
  • Das Bundesgericht bestätigte seine Rechtsprechung, wonach EMRK-Garantien (insbesondere Unschuldsvermutung und in dubio pro reo) in Disziplinarverfahren privatrechtlicher Sportverbände nicht direkt anwendbar sind und übergeordnete Interessen an der Dopingbekämpfung Vorrang haben können.
  • Die Rüge der Verletzung der "Rechtssicherheit" aufgrund der Verfahrensdauer wurde verworfen, da der Athlet bereits 2017 informiert wurde und die anwendbare Verjährungsfrist nicht abgelaufen war.
  • Das Bundesgericht ist im Bereich der internationalen Sportschiedsgerichtsbarkeit an den vom CAS festgestellten Sachverhalt gebunden und prüft nur die abschliessenden Beschwerdegründe des IPRG unter eingeschränkter Kognition. Eine direkte Berufung auf die EMRK genügt nicht.

Dieser detaillierte Entscheid des Bundesgerichts unterstreicht die Haltung des Gerichts zur Anwendbarkeit von EMRK-Garantien im Kontext privater Sportdisziplinarverfahren und bestätigt die Gewichtung von Beweisen im Rahmen des Biologischen Athletenpasses, insbesondere wenn alternative Erklärungen unzureichend sind und Indizien die Dopingthese stützen.