Zusammenfassung von BGer-Urteil 9C_382/2024 vom 3. Juni 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 9C_382/2024 des schweizerischen Bundesgerichts vom 3. Juni 2025:

Urteil des Bundesgerichts 9C_382/2024 vom 3. Juni 2025

  • Gericht: Schweizerisches Bundesgericht, III. öffentlich-rechtliche Abteilung
  • Datum: 3. Juni 2025
  • Parteien: A.__ (Beschwerdeführer) gegen Office de l'assurance-invalidité du canton de Fribourg (Beschwerdegegner)
  • Gegenstand: Invalidenversicherung (IV); Neues Gesuch; Invaliditätsbemessung
  • Vorinstanz: Tribunal cantonal du canton de Fribourg, Cour des assurances sociales

1. Verfahrensgegenstand und Hintergrund

Das Bundesgericht hatte im Rahmen eines neuen Gesuchs um Invalidenleistungen über den Rentenanspruch des 1959 geborenen Beschwerdeführers seit dem 1. März 2021 zu entscheiden. Konkret standen die Bemessung des Invaliditätsgrads, insbesondere die Festlegung des schadenfreien Einkommens und die Anwendung eines Abzugs vom schadenmässigen Einkommen, im Streit.

Der Beschwerdeführer hatte mehrfach Leistungen der IV beantragt. Ein neues Gesuch vom 3. September 2020 führte zu einem positiven Entscheid des IV-Amtes vom 31. März 2023, welches ihm basierend auf einem bidisziplinären (rheumatologisch-psychiatrischen) Gutachten eine Viertelsrente ab dem 1. Januar 2021 gewährte. Dagegen reichte der Beschwerdeführer Beschwerde beim Kantonsgericht Freiburg ein, welches die Beschwerde abwies, jedoch den Rentenbeginn zum Nachteil des Beschwerdeführers auf den 1. März 2021 korrigierte, aber ebenfalls nur eine Viertelsrente zusprach.

Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht verlangte der Beschwerdeführer die Aufhebung des kantonalen Urteils und die Zusprechung einer Dreiviertelsrente ab dem 1. März 2021.

2. Anwendbares Recht und zeitliche Geltung

Das Bundesgericht hielt fest, dass sich der Rechtsstreit auf den Zeitraum ab dem 1. März 2021 bezieht. Da die angefochtene Verwaltungsverfügung am 31. März 2023 erging, ist gemäss den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts (insb. BGE 144 V 210 E. 4.3.1; BGE 129 V 354 E. 1) primär die bis zum 31. Dezember 2021 geltende Rechtslage massgebend, um zu prüfen, ob sich der Rentenanspruch geändert hat. Anschliessend wäre die Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Verfügung zu prüfen (was hier nicht zu einer Änderung führte, da der Rentenbeginn vor der Gesetzesänderung lag). Das Bundesgericht verweist auf die vom Kantonsgericht korrekt zitierten Normen und die Rechtsprechung zur Ermittlung des schadenfreien Einkommens (BGE 145 V 141 E. 5.2.1; BGE 144 I 103 E. 5.3) und zur Möglichkeit eines Abzugs vom schadenmässigen Einkommen (BGE 146 V 16 E. 4.1; BGE 126 V 75 E. 5b).

3. Festsetzung des schadenfreien Einkommens

  • Argument der Vorinstanz: Das Kantonsgericht stützte sich auf das letzte vom Beschwerdeführer im Jahr 2004 als Magaziner erzielte Gehalt (Fr. 68'250.- brutto, 13 Monatslöhne à Fr. 5'250.-), da er per 31. Januar 2004 entlassen wurde. Dieses Gehalt wurde mittels des Nominallohnindex für Männer zwischen 2004 und 2021 auf Fr. 78'852.- im Jahr 2021 indexiert.
  • Argument des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer argumentierte, das schadenfreie Einkommen müsse basierend auf dem höheren Lohn von 2001 (Fr. 70'843.- gemäss AVS-Kontoauszug) festgesetzt werden. Er behauptete, die Lohneinbussen und gekürzten Gratifikationen in den Jahren 2002 und 2003 seien bereits auf gesundheitliche Probleme zurückzuführen gewesen. Die Indexierung müsse zudem nicht global, sondern Jahr für Jahr erfolgen.
  • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies die Argumentation des Beschwerdeführers zurück.
    • Es bestätigte, dass die Vorinstanz korrekt auf den letzten vor der Entlassung im Jahr 2004 erzielten Lohn abgestellt hatte, wie dies der allgemeinen Rechtsprechung entspricht (BGE 144 I 103 E. 5.3).
    • Der Beschwerdeführer hatte nicht im erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 144 V 427 E. 3.2) dargelegt, dass seine Einkünfte in den Jahren 2002 und 2003 bereits durch seine Gesundheitsprobleme beeinträchtigt waren. Obwohl aus Unterlagen von 2003 hervorgeht, dass er Gesundheitsprobleme hatte, war der Kündigungsgrund gemäss Arbeitgeber kritische Äusserungen zur Unternehmensführung, nicht die gesundheitlich bedingte Leistung.
    • Es gab keine überzeugenden Hinweise darauf, dass die Lohn- und Gratifikationskürzungen ab 2002 auf die Arbeitsleistung aufgrund der gesundheitlichen Situation zurückzuführen waren.
    • Auch die Behauptung, es seien Lohnbestandteile (Pikettentschädigungen, Überstunden) nicht berücksichtigt worden, wurde mangels Nachweis zurückgewiesen.
    • Zudem wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer den identisch begründeten Entscheid des IV-Amtes von 2005, der ebenfalls auf dem Lohn von 2004 basierte, nicht angefochten hatte.
    • Die vom Kantonsgericht angewandte Indexierungsmethode sei korrekt und führe zum selben Ergebnis wie die vom Beschwerdeführer präferierte Methode.
    • Die Erwägungen zum Lohn als selbständiger Mechaniker ab 2006 waren irrelevant, da das Kantonsgericht diese Möglichkeit wegen des ungünstigen Ergebnisses nicht in Betracht gezogen hatte.
  • Schlussfolgerung zum schadenfreien Einkommen: Das Bundesgericht bestätigte das vom Kantonsgericht festgelegte schadenfreie Einkommen von Fr. 78'852.- für das Jahr 2021.

4. Festsetzung des Abzugs vom schadenmässigen Einkommen

  • Argument der Vorinstanz: Das Kantonsgericht gewährte einen Abzug von 5% auf dem schadenmässigen Einkommen. Es argumentierte, das Alter des Beschwerdeführers (fast 63 Jahre) sei kein Hindernis für die Verwertung der Restarbeitsfähigkeit. Der Beschwerdeführer verfüge über ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis, diverse Berufserfahrungen (Angestellter, Selbständiger) und sei anpassungsfähig. Ihm stünden trotz funktioneller Einschränkungen (70% Arbeitsfähigkeit in leichter Tätigkeit, Pausen, Positionswechsel, max. 6 kg Heben über Schulterhöhe, Vermeidung von Rumpfbeugung/Rotation) ein ausreichendes Spektrum an Stellen offen (basierend auf Lohnniveau 1 der Lohnstrukturerhebung - LSE). Die Einschränkungen schlössen schwere Arbeiten aus, schränkten leichte Arbeiten aber nicht wesentlich ein. Der Abzug von 5% sei im Einzelfall angemessen.
  • Argument des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte, das Kantonsgericht habe nur die funktionellen Einschränkungen berücksichtigt. Das kumulative Vorliegen mehrerer Kriterien – Alter (63 Jahre und 3 Monate), Teilkapazität (70%), nur leichte Tätigkeit mit zahlreichen physischen Einschränkungen, potentielle punktuelle Arbeitsunfähigkeiten, Bedarf an Pausen und reduzierte Leistungsfähigkeit – rechtfertige einen maximalen Abzug von 25%.
  • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht gab dem Beschwerdeführer teilweise Recht.
    • Es bestätigte, dass die Vorinstanz sich ausschliesslich auf die funktionellen Einschränkungen konzentriert und den Abzug von 5% darauf gestützt hatte. Dabei habe sie jedoch die anderen von der Rechtsprechung für die Festsetzung des Abzugs berücksichtigten Kriterien (BGE 146 V 16 E. 4.1; BGE 126 V 75 E. 5b) ausser Acht gelassen, was eine rechtsfehlerhafte Ausübung des Ermessens darstelle.
    • Das Bundesgericht differenzierte zwischen der Frage, ob das Alter (ab 60) die Verwertung der Restarbeitsfähigkeit behindert (BGE 138 V 457 E. 3), und der Frage, wie das Alter die Höhe des Abzugs beeinflusst, indem es einen wirtschaftlichen Nachteil bewirkt (BGE 8C_129/2022 E. 4.1).
    • Für einen fast 63-jährigen Versicherten, der erhebliche funktionelle Einschränkungen aufweist, den Beruf wechseln und eine selbständige Tätigkeit aufgeben musste, sei ein globaler Abzug von 15% vom schadenmässigen Einkommen angemessener, um den durch diese neue Situation verursachten Nachteil zu berücksichtigen.
    • Das schadenmässige Einkommen von Fr. 38'886.- (gerundet), welches vom Kantonsgericht basierend auf dem LSE-Lohnniveau 1 ermittelt wurde, wurde vom Beschwerdeführer nicht substantiiert kritisiert und vom Bundesgericht übernommen.
  • Schlussfolgerung zum Invaliditätsgrad: Das Bundesgericht berechnete den Invaliditätsgrad neu:
    • Schadenfreies Einkommen: Fr. 78'852.-
    • Schadenmässiges Einkommen (mit 15% Abzug): Fr. 38'886.-
    • Invaliditätsgrad = (Fr. 78'852.- - Fr. 38'886.-) / Fr. 78'852.- ≈ 0.5068
    • Gerundet ergibt sich ein Invaliditätsgrad von 51%.
  • Ergebnis: Ein Invaliditätsgrad von 51% begründet einen Anspruch auf eine halbe Invalidenrente.

5. Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut. Es hob das Urteil des Kantonsgerichts und die Verfügung des IV-Amtes insoweit auf, als dem Beschwerdeführer nur eine Viertelsrente zugesprochen wurde. Beide Entscheide wurden reformiert, indem dem Beschwerdeführer eine halbe Invalidenrente ab dem 1. März 2021 zugesprochen wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen (insbesondere bezüglich des weitergehenden Antrags auf eine Dreiviertelsrente).

Die Gerichtskosten wurden hälftig zwischen den Parteien aufgeteilt. Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung vom IV-Amt. Die Sache wurde zur Neuverlegung der Kosten und Parteientschädigungen des vorangegangenen kantonalen Verfahrens an das Kantonsgericht zurückgewiesen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Schadenfreies Einkommen: Das Bundesgericht bestätigte die Berechnung der Vorinstanz, die auf dem letzten vor der Entlassung erzielten Lohn basierte und ordnungsgemäss indexiert wurde (Fr. 78'852.-). Argumente des Beschwerdeführers, wonach frühere Einkünfte oder gesundheitliche Beeinträchtigungen in den Vorjahren relevanter seien, wurden mangels Nachweis zurückgewiesen.
  • Pauschalabzug vom schadenmässigen Einkommen: Das Bundesgericht korrigierte die Vorinstanz. Es befand, dass diese bei der Bemessung des Abzugs vom schadenmässigen Einkommen (der die wirtschaftliche Benachteiligung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgleichen soll) rechtsfehlerhaft nur die funktionellen Einschränkungen berücksichtigt hatte. Das Gericht betonte die Notwendigkeit, kumulative Faktoren zu berücksichtigen. Für einen fast 63-jährigen Versicherten mit erheblichen Einschränkungen, der zudem den Beruf wechseln musste (von einer selbständigen Tätigkeit), sei ein höherer Abzug gerechtfertigt. Statt der 5% der Vorinstanz sei ein globaler Abzug von 15% angemessen.
  • Invaliditätsgrad und Rentenanspruch: Die Neuberechnung des Invaliditätsgrads basierend auf dem bestätigten schadenfreien Einkommen und dem schadenmässigen Einkommen abzüglich des angepassten Pauschalabzugs (15% statt 5%) führte zu einem Invaliditätsgrad von 51%. Dies begründet einen Anspruch auf eine halbe Invalidenrente (statt der zugesprochenen Viertelsrente).
  • Ergebnis: Das Bundesgericht sprach dem Beschwerdeführer ab dem 1. März 2021 eine halbe Invalidenrente zu und wies die Sache für die Kostenfolgen des kantonalen Verfahrens zurück.