Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_123/2025 vom 13. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des schweizerischen Bundesgerichts (6B_123/2025 vom 13. Mai 2025):

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand

Das Urteil des Bundesgerichts (I. Strafrechtliche Abteilung) vom 13. Mai 2025, Geschäftsnummer 6B_123/2025, befasst sich mit einer Beschwerde in Strafsachen von A.__ gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Luzern. Gegenstand der Beschwerde ist primär der Schuldspruch wegen eventualvorsätzlich versuchter Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 22 StGB). Der Beschwerdeführer bestreitet den Sachverhalt des tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten und rügt im Weiteren, dass selbst bei Annahme des Sachverhalts kein strafbarer untauglicher Versuch vorliege, weil der Beamte keine Amtshandlung vorgenommen habe und er (der Beschwerdeführer) dies auch nicht in Kauf genommen habe. Er macht zudem Verfahrensverletzungen geltend (Anklagegrundsatz, rechtliches Gehör, Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung).

2. Sachverhalt (relevant für den angefochtenen Schuldspruch)

Der Beschwerdeführer A._ wurde beschuldigt, am 28. Februar 2022 während der Luzerner Fasnacht in angetrunkenem Zustand den Polizeibeamten B._ mit dem rechten Ellenbogen heftig in den Rücken gestossen zu haben, woraufhin dieser fast zu Boden gefallen sei. Dies ereignete sich kurz nachdem der Beschwerdeführer erfolglos versucht hatte, über das Mobiltelefon eines anderen Polizeibeamten (C._) seine Ehefrau anzurufen. Nach diesem Vorfall und weiteren Unregelmässigkeiten wurde der Beschwerdeführer von der Polizei angehalten, kontrolliert, über eine Anzeige wegen Trunkenheit und eine Wegweisung informiert. Wenige Minuten später trat er erneut an die Beamten heran, verlangte die Vorlage eines Polizeiausweises und versuchte diesen zu zerknüllen, woraufhin er festgehalten und gefesselt wurde. Der angefochtene Schuldspruch bezieht sich ausschliesslich auf den tätlichen Angriff gegen Polizist B._.

3. Prozessgeschichte

  • Die Staatsanwaltschaft Luzern verurteilte A.__ per Strafbefehl vom 4. April 2022 u.a. wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse.
  • Das Bezirksgericht Luzern sprach A.__ auf dessen Einsprache hin vom Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte frei (Verurteilung nur wegen geringfügiger Sachbeschädigung).
  • Auf Berufung der Staatsanwaltschaft sprach das Kantonsgericht Luzern A.__ schliesslich des eventualvorsätzlich versuchten Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe (zusätzlich zur Busse wegen Sachbeschädigung).

4. Streitpunkt vor Bundesgericht

Vor Bundesgericht war einzig noch der Schuldspruch wegen (versuchter) Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte streitig. Der Beschwerdeführer bestritt die tatsächliche Ausführung des Stosses und, eventualiter, die rechtliche Qualifikation als strafbarer Versuch.

5. Begründung des Kantonsgerichts (Vorinstanz)

Das Kantonsgericht stützte sich auf die Aussagen von Polizeikollegen (insbesondere D._) und die Einlassung des Beschwerdeführers und erachtete den tatsächlichen Sachverhalt des Ellenbogenstosses in den Rücken von Polizist B._ als erstellt. Es qualifizierte dieses Verhalten als tätlichen Angriff im Sinne von Art. 285 Ziff. 1 StGB, da es eine über das Übliche hinausgehende, aggressive Krafteinwirkung auf den Körper des Beamten darstelle.

Allerdings stellte die Vorinstanz fest, dass der Angriff nicht während einer Amtshandlung erfolgte. Polizeibeamter B.__ befand sich zum Zeitpunkt des Stosses in einer Pause, obwohl er uniformiert, bewaffnet und im Rahmen eines Fasnachts-Einsatzes zur Gewährleistung der Sicherheit in Bereitschaft war. Objektiv sei der Tatbestand von Art. 285 Ziff. 1 StGB somit nicht erfüllt gewesen.

Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands gelangte die Vorinstanz zum Schluss, der Beschwerdeführer habe Eventualvorsatz gehabt. Er habe gewusst, dass er einen echten Polizeibeamten und nicht einen verkleideten Zivilisten angerempelt habe. Das Verhalten sei auch kein Versehen gewesen, sondern eine Reaktion auf die vorangegangene Interaktion mit Polizist C.__. Unter den gegebenen Umständen (Beamte uniformiert, bewaffnet, im Einsatzbereich einer Grossveranstaltung, gerade zuvor um dienstliche Hilfe ersucht) habe der Beschwerdeführer mindestens in Kauf genommen, dass die Beamten zum Zeitpunkt des tätlichen Angriffs eine Amtshandlung im Sinne des Gesetzes ausgeführt hätten bzw. im Dienst gewesen seien. Ein Sachverhaltsirrtum zugunsten des Beschwerdeführers liege nicht vor.

Da der objektive Tatbestand nicht vollendet, der subjektive Tatbestand (einschliesslich Eventualvorsatz bezüglich des Merkmals "während einer Amtshandlung") aber erfüllt sei, qualifizierte das Kantonsgericht die Tat als eventualvorsätzlich versuchte Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte.

6. Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüft die Beschwerde unter Berücksichtigung der Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG) und der korrekten Anwendung des Rechts (Art. 95 BGG).

6.1. Sachverhaltsfeststellung und Subjektiver Tatbestand (Eventualvorsatz)

Das Bundesgericht legt den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es bestätigt, dass der Polizeibeamte B.__ uniformiert, bewaffnet und im Rahmen eines Einsatzes an der Fasnacht unterwegs war. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe unter diesen Umständen zumindest in Kauf genommen, dass der Beamte zum Zeitpunkt des Angriffs im Dienst war, sei nicht willkürlich (E. 1.3.1). Auch wenn der Beamte gerade ass, war für den Beschwerdeführer nicht erkennbar, dass er ausser Dienst war. Vielmehr sprächen die Umstände (Uniform, Waffe, Einsatzgebiet, kurz zuvor um dienstliche Hilfe ersucht) dafür, dass er mit dessen dienstlicher Tätigkeit rechnen musste.

Der Einwand des Beschwerdeführers, der Beamte sei objektiv nicht im Dienst gewesen, betreffe den objektiven Tatbestand, nicht den subjektiven. Für den subjektiven Tatbestand sei entscheidend, was sich der Täter vorstellte oder in Kauf nahm. Das Bundesgericht bestätigt die Verneinung eines Sachverhaltsirrtums zugunsten des Beschwerdeführers und die Bejahung des Eventualvorsatzes durch die Vorinstanz (E. 1.3.2).

6.2. Untauglicher Versuch und Minimale objektive Gefährlichkeit

Das Bundesgericht erläutert die Grundsätze des Versuchs gemäss Art. 22 StGB und des untauglichen Versuchs. Ein untauglicher Versuch liegt vor, wenn die Tat entgegen der Vorstellung des Täters objektiv nicht vollendet werden kann (Sachverhaltsirrtum zuungunsten des Täters). Er ist grundsätzlich strafbar, es sei denn, der Täter handelte grob unverständig (Art. 22 Abs. 2 StGB) oder das Verhalten weist bei Kenntnis aller Umstände objektiv keine minimale Gefährlichkeit auf (analog Art. 22 Abs. 2 StGB gemäss BGE 140 IV 150).

Das Bundesgericht hält fest, dass der Beschwerdeführer willentlich und wissentlich einen Polizeibeamten tätlich angriff. Obwohl der Beamte objektiv gerade nicht während einer Amtshandlung angegriffen wurde (was zum untauglichen Versuch führt), richtete sich der Angriff explizit gegen einen Repräsentanten staatlicher Gewalt. Dieses Verhalten weise ein erhebliches Stör- bzw. Gefährlichkeitspotenzial auf. Es handle sich nicht um einen absolut ungefährlichen Versuch ohne ernsthaftes Stör- oder Gefährlichkeitspotenzial, der Straflosigkeit rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer habe auch nicht aus grobem Unverstand gehandelt. Die Tat sei daher als untauglicher Versuch strafbar (E. 1.3.2). Die Vorinstanz habe zwar nicht explizit das Gefährlichkeitspotenzial erörtert, dies ergebe sich aber hinreichend klar aus ihren Ausführungen zum intentionalen Angriff auf einen uniformierten Beamten.

6.3. Anklagegrundsatz und Verfahrensrechte

Das Bundesgericht prüft, ob die Verurteilung wegen versuchter Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte den Anklagegrundsatz verletzt (Art. 9, 325 StPO). Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt der in der Anklageschrift umschriebene Sachverhalt den Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Die rechtliche Würdigung dieses Sachverhalts obliegt hingegen dem Gericht (Art. 350 Abs. 1 StPO).

Das Bundesgericht stellt fest, dass der Strafbefehl den dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Sachverhalt (tätlicher Angriff auf einen Polizeibeamten) klar umschreibt. Auch wenn der Strafbefehl nicht ausdrücklich festhielt, dass der objektive Tatbestand allenfalls nicht erfüllt sei, der Beschwerdeführer dies aber eventualvorsätzlich angenommen habe, liege darin keine Verletzung des Anklagegrundsatzes. Der Beschwerdeführer konnte sich gegen den ihm vorgeworfenen Sachverhalt verteidigen. Die Qualifikation als untauglicher Versuch und die Anwendung des Eventualvorsatzes auf das Tatbestandsmerkmal "während einer Amtshandlung" sind Fragen der rechtlichen Würdigung des angeklagten Sachverhalts, nicht des Sachverhalts selbst (E. 2.2).

Der vom Beschwerdeführer angerufene Art. 344 StPO (Hinweispflicht des Gerichts bei anderer rechtlicher Würdigung) sei ebenfalls nicht verletzt. Das Gericht muss nur hinweisen, wenn es den Sachverhalt rechtlich anders würdigen will als die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift. Hier blieb die grundlegende rechtliche Würdigung (Art. 285 StGB) gleich; das Gericht hat lediglich den umschriebenen Sachverhalt unter den Gesichtspunkten des Versuchs und des Eventualvorsatzes geprüft, was im Rahmen von Art. 285 StGB liegt. Der Beschwerdeführer musste mit einer solchen rechtlichen Qualifikation rechnen (E. 2.2).

6.4. Beweiswürdigung und Willkür

Das Bundesgericht weist die Rügen des Beschwerdeführers zur Beweiswürdigung zurück.

  • Die Nichtbefragung des Polizeibeamten B.__ sei nicht willkürlich. Die Vorinstanz habe dies damit begründet, dass von seiner Befragung kein weiterer Erkenntnisgewinn zu erwarten sei, da er den Stoss von hinten nicht beobachten konnte und es für die Tatbestandserfüllung (Versuch) nicht auf das Hervorrufen von Schmerzen ankomme. Dies sei nachvollziehbar. Dass B._ ein versehentliches Anrempeln nicht ausschliessen konnte, ändere nichts an der Beobachtung des Zeugen D._, der den Stoss als absichtlich beschrieb (E. 3).
  • Die Nichtberücksichtigung der Aussage des Entlastungszeugen E.__ sei ebenfalls nicht willkürlich. Die Vorinstanz habe diese Aussage berücksichtigt, aber die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei von falschen Polizisten ausgegangen, überzeugend verworfen. Dass die Vorinstanz aus der Aussage nicht die vom Beschwerdeführer gewünschten Schlüsse zieht, begründet keine Willkür oder Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo", der nur als Beweiswürdigungsregel unter dem Aspekt der Willkür prüfbar ist (E. 3). Auch der Anspruch auf Gleichbehandlung sei nicht verletzt, da E.__ befragt wurde.
  • Die Rüge widersprüchlicher Zeugenaussagen bezüglich des Sachverhalts nach dem Stoss begründe ebenfalls keine Willkür bei der Beweiswürdigung des Stosses selbst (E. 3).

Schliesslich wird die Rüge der Verletzung der Begründungspflicht als unbegründet abgewiesen (E. 3).

7. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht bestätigt die vorinstanzliche Verurteilung. Das Stossen des Beschwerdeführers gegen den Polizeibeamten B.__ wird als tatbestandsmässig im Sinne eines versuchten tätlichen Angriffs während einer Amtshandlung qualifiziert. Die fehlende objektive Amtshandlung führt zum Versuchsstadium, während der Eventualvorsatz bezüglich der Amtshandlung und die minimale objektive Gefährlichkeit des Angriffs auf einen Uniformierten die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs begründen. Die Rügen des Beschwerdeführers betreffend Sachverhalt, Willkür, Anklagegrundsatz und Verfahrensrechte werden abgewiesen.

8. Endgültiger Entscheid

Die Beschwerde wird abgewiesen. Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

9. Wesentliche Punkte in Kürze

  • Der Schuldspruch wegen eventualvorsätzlich versuchter Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte wurde bestätigt.
  • Der Sachverhalt eines absichtlichen Stosses gegen einen Polizeibeamten wurde als erstellt erachtet (Nicht-Willkür der Beweiswürdigung bestätigt).
  • Der objektive Tatbestand des tätlichen Angriffs während einer Amtshandlung war nicht erfüllt, da sich der Beamte in einer Pause befand.
  • Der subjektive Tatbestand des Eventualvorsatzes wurde bejaht: Der Beschwerdeführer nahm zumindest in Kauf, dass der uniformierte Beamte im Dienst war.
  • Die Tat qualifiziert als untauglicher Versuch.
  • Der untaugliche Versuch ist strafbar, da das Verhalten (Angriff auf uniformierten Beamten) trotz objektiver Nicht-Vollendung eine ausreichende minimale objektive Gefährlichkeit aufweist und nicht grob unverständig war.
  • Der Anklagegrundsatz wurde nicht verletzt, da die rechtliche Qualifizierung eines klar umschriebenen Sachverhalts dem Gericht obliegt.
  • Weitere Verfahrensrügen (rechtliches Gehör, Beweiswürdigung) wurden abgewiesen.