Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1006/2024 vom 8. Mai 2025

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Absolut. Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_1006/2024 vom 8. Mai 2025, basierend auf den bereitgestellten Informationen:

Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 6B_1006/2024 vom 8. Mai 2025

Hintergrund: Das Urteil betrifft einen Rekurrenten (A.__), der von der kantonalen Strafverfolgungsbehörde und anschliessend vom Tribunal correctionnel des Arrondissements de Lausanne und der Cour d'appel pénale des Kantons Waadt der Escroquerie (Betrug), Falschbeurkundung und Geldwäscherei schuldig befunden wurde. Er wurde zu einer teilbedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt und zur Zahlung von 91'657.55 CHF an die Caisse cantonale de chômage verpflichtet. Gegen das Berufungsurteil erhob der Rekurrent Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht, wobei er primär Freispruch von den Vorwürfen des Betrugs und der Geldwäscherei im Zusammenhang mit den Kurzarbeitsentschädigungen (KAE) und die Abweisung der Zivilforderungen beantragte.

Massgebende Fakten (gemäss Urteil der Vorinstanz und vom Bundesgericht übernommen): Der Rekurrent, als Gesellschafter-Geschäftsführer der B.__ Sàrl, reichte am 25. Mai und 25. Juni 2020 bei der Caisse cantonale de chômage Gesuche und Abrechnungen für KAE ein. Er gab dabei wahrheitswidrig und in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht für seine zehn Mitarbeiter für die Monate März, April und Mai 2020 eine falsche Gesamtzahl verlorener Arbeitsstunden an. Tatsächlich hatten die Mitarbeiter während dieser Zeit zu 100% gearbeitet. Die Caisse cantonale de chômage vertraute rechtmässig auf die Angaben des Rekurrenten und sah aufgrund der Umstände von zusätzlichen Überprüfungen ab. Am 30. Juli 2020 zahlte die Kasse KAE in Höhe von insgesamt 91'657.55 CHF aus. Der Rekurrent verwendete die erhaltenen Entschädigungen eigenen Angaben zufolge zur Tilgung von Spielschulden und für Glücksspiel.

Rechtlicher Rahmen (Kurzarbeitsentschädigung im Kontext von COVID-19): Das Bundesgericht erläutert zunächst den Zweck der KAE gemäss Art. 31 ff. des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG): Überbrückung vorübergehender wirtschaftlicher Schwierigkeiten, Vermeidung von Entlassungen und Erhalt von Arbeitsplätzen. Die Arbeitsausfälle müssen wirtschaftlich bedingt und unvermeidbar sein (Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG). Spezifische Bestimmungen galten für Härtefälle und behördlich angeordnete Massnahmen (Art. 32 Abs. 3 AVIG, Art. 51 VAV). Von besonderer Bedeutung im vorliegenden Fall sind die Massnahmen des Bundesrates während der COVID-19-Pandemie, insbesondere die Verordnung vom 20. März 2020 über Massnahmen im Bereich der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Verordnung COVID-19 Arbeitslosenversicherung). Diese Verordnung führte spezifische Massnahmen im KAE-Bereich ein. Die pandemiebedingte Ausnahmesituation führte zu einem massiven Anstieg der KAE-Gesuche, was für die Arbeitslosenkassen eine enorme Belastung bedeutete und die rasche Bearbeitung der Gesuche erforderte.

Die Rechtsrügen des Rekurrenten und die Beurteilung durch das Bundesgericht:

  1. Verletzung des Anklageprinzips (Art. 9 StPO):

    • Argument des Rekurrenten: Die Anklageschrift beschreibe das arglistige Verhalten nicht ausreichend detailliert. Sie erwähne lediglich, dass die Kasse "aufgrund der Umstände" keine zusätzlichen Überprüfungen vornehmen konnte, ohne diese Umstände zu präzisieren (z.B. die Situation der Kassen, das KAE-System unter Notrecht, die sanitäre Situation und deren Auswirkungen auf die Verwaltung). Der Rekurrent argumentiert, die Anklageschrift liefere keine Grundlage, um zu verstehen, warum die Kasse die nach Art. 39 AVIG gebotene elementare Prüfung unterliess.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Gericht erinnert an das Anklageprinzip gemäss Art. 9 StPO und Art. 325 Abs. 1 StPO, das verlangt, dass die Anklageschrift die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten präzise beschreibt, damit er sich verteidigen kann. Im vorliegenden Fall habe die Anklageschrift klar dargelegt, dass das arglistige Verhalten darin bestand, falsche Informationen zu geben, deren Überprüfung nicht oder nur schwer möglich war. Die Umstände, die der Institution keine zusätzlichen Überprüfungen erlaubten, ergäben sich aus dem Präambel der Anklageschrift. Dieses Präambel habe ausgeführt, dass der Bundesrat Massnahmen ergreifen musste, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, insbesondere zur Vermeidung von Massenentlassungen und zur Sicherung der Liquidität von Unternehmen. Diese Umstände erklären gemäss Gericht, warum die Kasse keine zusätzlichen Prüfungen vornehmen konnte. Das Bundesgericht hält die Beschreibung des Verhaltens und der Arglist in der Anklageschrift für ausreichend detailliert. Der Vorwurf der Verletzung des Anklageprinzips wird abgewiesen.
  2. Escroquerie (Betrug) - Verneinung der Arglist (Art. 146 StGB):

    • Argument des Rekurrenten: Der Tatbestand des Betrugs sei nicht erfüllt, da keine Arglist vorliege. Die Caisse cantonale de chômage hätte gemäss ihrer Überprüfungspflicht nach Art. 39 AVIG zusätzliche Informationen einholen müssen. Er verweist auf Rechtsprechung zur Falschbeurkundung bei KAE-Gesuchen, wonach solche Gesuche wegen der Überprüfungspflicht der Kasse nach Art. 39 AVIG keine erhöhte Beweiseignung hätten. Die COVID-Massnahmen hätten die Anforderungen von Art. 39 AVIG nicht aufgehoben. Die Kasse habe ihre Sorgfaltspflicht verletzt, wodurch die Täuschung nicht als arglistig qualifiziert werden könne (Prinzip der Mitverantwortung des Getäuschten).
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Gericht wiederholt die Definition der Arglist gemäss konstanter Rechtsprechung (Art. 146 Abs. 1 StGB a.F., z.B. BGE 150 IV 169, 147 IV 73). Arglist liegt vor bei Lügengebäuden, Machenschaften, Inszenierungen, aber auch bei einfachen falschen Angaben, wenn deren Überprüfung nicht oder nur schwer möglich ist oder nicht vernünftigerweise verlangt werden kann. Arglist ist nicht gegeben, wenn sich der Getäuschte mit einem Minimum an Aufmerksamkeit oder zumutbarer Vorsicht hätte schützen können. Allerdings sei keine übermässige Sorgfalt oder die Erschöpfung aller möglichen Massnahmen zur Vermeidung der Täuschung erforderlich. Arglist wird nur ausgeschlossen, wenn der Getäuschte elementare, den Umständen entsprechende Prüfungen unterliess. Eine Mitverantwortung des Getäuschten schliesse Arglist nur in Ausnahmefällen aus; blosse Fahrlässigkeit genüge nicht.
    • Das Gericht hält fest, dass die Kassen gemäss Art. 39 AVIG grundsätzlich verpflichtet sind, KAE-Gesuche zu überprüfen. Der Rekurrent habe seine Gesuche aber in der Hochphase der COVID-19-Pandemie (Mai/Juni 2020) eingereicht. Infolge der behördlichen Massnahmen und des explosionsartigen Anstiegs der KAE-Gesuche mussten die Kassen eine massive Anzahl von Anträgen schnell bearbeiten. Angesichts dieser Umstände konnten sie keine besonderen Überprüfungen vornehmen, sondern mussten sich auf die Angaben der Arbeitgeber verlassen. Das Gericht gelangt zum Schluss, dass der Caisse cantonale de chômage unter diesen Bedingungen nicht vorgeworfen werden kann, die KAE-Zahlungen ohne Überprüfung des Arbeitsausmasses vorgenommen zu haben. Der Rekurrent, der die aussergewöhnliche Situation kannte (und bereits das System der COVID-Kredite missbraucht hatte), habe die Situation ausgenutzt. Die Arglist sei gerade dann gegeben, wenn der Täter falsche Informationen gibt, von denen er weiss, dass eine Überprüfung nicht oder nur schwer möglich ist oder nicht vernünftigerweise verlangt werden kann. Daher sei das Verhalten des Rekurrenten als arglistig zu qualifizieren. Die Rüge wird abgewiesen.
  3. Blanchiment d'argent (Geldwäscherei) (Art. 305bis StGB):

    • Argument des Rekurrenten: Er bestreitet die Verurteilung wegen Geldwäscherei, da er von der Escroquerie freizusprechen sei.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Da die Rügen bezüglich der Escroquerie abgewiesen wurden, ist dieser Einwand gegen die Geldwäscherei gegenstandslos.
  4. Strafzumessung und Verletzung des rechtlichen Gehörs/Willkür (Art. 47, 49 StGB, Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 9 BV):

    • Argument des Rekurrenten: Die Freiheitsstrafe von 18 Monaten sei willkürlich und verletze das rechtliche Gehör. Die Vorinstanz habe in ihren Erwägungen eine angemessene Freiheitsstrafe von 12 Monaten berechnet, im Dispositiv des Urteils jedoch die erstinstanzliche Strafe von 18 Monaten bestätigt.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Das Gericht erläutert die Anforderungen an willkürliche Entscheide (Art. 9 BV) und die Begründungspflicht als Teil des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Eine Entscheidung sei willkürlich, wenn sie offensichtlich unhaltbar ist oder einen klaren Rechtsgrundsatz schwerwiegend missachtet. Bei unverständlichen kantonalen Entscheiden könne die Verletzung von Willkür und rechtlichem Gehör Hand in Hand gehen.
    • Im vorliegenden Fall habe die Vorinstanz in ihren Erwägungen die schwerste Tat (Betrug an zwei Banken und einer Sozialinstitution) mit sechs Monaten Freiheitsstrafe gewürdigt. Hinzu kämen drei Monate für die Falschbeurkundung und drei Monate für die Geldwäscherei, was zu einer Gesamtstrafe von 12 Monaten führe. Die Vorinstanz habe in den Erwägungen ausdrücklich erklärt, dass eine Strafe von 12 Monaten zur Sanktionierung des Verhaltens des Rekurrenten angemessen sei und diese Strafe bestätigt (S. 32 f. des Urteils). Im Dispositiv des Urteils (S. 34) habe sie jedoch die Berufung des Rekurrenten abgewiesen und damit die erstinstanzliche Strafe von 18 Monaten bestätigt.
    • Das Bundesgericht stellt fest, dass die Begründung der Vorinstanz widersprüchlich, unverständlich und damit willkürlich ist. Es kann nicht gleichzeitig in den Erwägungen eine Strafe von 12 Monaten für angemessen halten und im Dispositiv eine Strafe von 18 Monaten bestätigen. Der Rekurs wird in Bezug auf die Strafzumessung gutgeheissen. Das Urteil der Vorinstanz wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung über die Strafzumessung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
  5. Zivilforderungen:

    • Argument des Rekurrenten: Beantragt Abweisung der Zivilforderungen der Caisse cantonale de chômage, da er von Betrug und Geldwäscherei freizusprechen sei.
    • Beurteilung des Bundesgerichts: Da die Schuldsprüche bezüglich Betrug und Geldwäscherei (abgesehen von der Strafzumessung) bestätigt wurden, ist dieser Antrag gegenstandslos.

Entscheidung des Bundesgerichts: Der Rekurs wird teilweise gutgeheissen. Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich der Strafzumessung aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen (Schuldsprüche wegen Betrugs und Geldwäscherei, Zivilforderungen) wird der Rekurs abgewiesen.

Kosten und Parteientschädigung: Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist (nämlich für den teilweise gutgeheissenen Punkt der Strafzumessung, wo keine Gerichtskosten anfallen und Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung besteht). Für den abgewiesenen Teil hatte der Rekurs keine Erfolgsaussichten. Der Rekurrent hat reduzierte Gerichtskosten zu tragen (800 CHF), und der Kanton Waadt hat seinem Anwalt eine reduzierte Parteientschädigung (1'000 CHF) für das Verfahren vor Bundesgericht zu zahlen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: * Das Bundesgericht bestätigt den Schuldspruch wegen Betrugs (Escroquerie) im Zusammenhang mit dem missbräuchlichen Bezug von Kurzarbeitsentschädigung während der COVID-19-Pandemie. * Die Arglist des Rekurrenten wird bejaht. Das Gericht begründet dies primär mit der aussergewöhnlichen Situation während der Pandemie, die eine rasche Bearbeitung einer massiven Anzahl von KAE-Gesuchen erforderte und den Arbeitslosenkassen unter den gegebenen Umständen keine vertiefte Überprüfung der Angaben ermöglichte. Der Täter nutzte wissentlich diese Situation aus. Die Überprüfungspflicht nach Art. 39 AVIG führt im Kontext dieser Ausnahmesituation nicht zum Ausschluss der Arglist. * Der Schuldspruch wegen Geldwäscherei wird ebenfalls bestätigt, da er vom Schuldspruch wegen Betrugs abhängt. * Die Zivilforderungen der Kasse werden im Ergebnis nicht inhaltlich vom Bundesgericht beurteilt, da der Freispruchantrag des Rekurrenten, auf dem seine Argumentation fusste, abgewiesen wurde. * Das Bundesgericht hebt das Urteil der Vorinstanz allein in Bezug auf die Strafzumessung auf und weist die Sache zur Neubeurteilung dieses Punktes zurück. Grund hierfür ist ein schwerwiegender, willkürlicher Widerspruch zwischen der in den Urteilserwägungen begründeten Strafe (12 Monate) und der im Dispositiv bestätigten Strafe (18 Monate). Dies verletzt das rechtliche Gehör und ist willkürlich.