Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des schweizerischen Bundesgerichts 6B_979/2024 vom 7. Mai 2025:
Bundesgericht, Urteil 6B_979/2024 vom 7. Mai 2025
Parteien:
* Beschwerdeführer: A._ (vertreten durch Anwalt)
* Beschwerdegegner: 1. Ministère public central du canton de Vaud, 2. B._ (vertreten durch Beiständin), 3. C.__ (vertreten durch Beiständin)
Gegenstand: Sexuelle Nötigung, sexuelle Handlungen mit einer urteils- oder widerstandsunfähigen Person; Willkür
Einleitung und Prozessgeschichte:
Das Bundesgericht hatte über die Beschwerde eines Mannes (A._) zu entscheiden, der in den Vorinstanzen wegen sexueller Nötigung und sexueller Handlungen mit einer urteils- oder widerstandsunfähigen Person verurteilt worden war. Das Tribunal de police des Arrondissements de La Côte hatte ihn am 21. Dezember 2023 schuldig gesprochen, zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, eine Landesverweisung von 10 Jahren sowie ein Berufsverbot von 10 Jahren ausgesprochen und ihn zur Zahlung einer Genugtuung an C._ (5'000 CHF) verpflichtet. Die Cour d'appel pénale des Kantons Waadt bestätigte dieses Urteil am 30. September 2024. Der Beschwerdeführer focht dieses Berufungsurteil vor Bundesgericht an, indem er primär auf Freispruch plädierte und die Schuldsprüche unter dem Gesichtspunkt der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung, der willkürlichen Beweiswürdigung sowie der Verletzung der Unschuldsvermutung/in dubio pro reo-Prinzips angriff.
Sachverhalt (wie von der Vorinstanz festgestellt und vom Bundesgericht übernommen):
Das Bundesgericht ist grundsätzlich an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 105 Abs. 1 LTF), es sei denn, dieser wurde offensichtlich unrichtig oder unter Verletzung des Rechts festgestellt (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 LTF), namentlich willkürlich im Sinne von Art. 9 BV. Die Vorinstanz, und damit auch das Bundesgericht, legte dem Urteil die folgenden Sachverhalte zugrunde:
- Fall B.__ (Intimée 2): Zu einem unbestimmten Zeitpunkt, wahrscheinlich im Jahr 2019, zeigte A._, damals als Erzieher in der Stiftung F._ tätig, der Bewohnerin B.__, die aufgrund einer Querschnittslähmung und erheblicher geistiger Behinderung unter umfassender Beistandschaft stand, zumindest sein Geschlechtsorgan.
- Fall C.__ (Intimée 3): Am 6. September 2021 begleitete A._, als Erzieher für die Stiftung G._ tätig, die Bewohnerin C._, die aufgrund einer zerebralen Bewegungsstörung und Sprachproblemen ebenfalls unter umfassender Beistandschaft stand, zu einer ärztlichen Konsultation. Während der Wartezeit in einem Untersuchungszimmer sagte er ihr, dass sie schön sei, und berührte ihre Wange. Nachdem er C._ in ihre betreute Wohnung zurückgebracht hatte und wusste, dass ihre Mitbewohner abwesend waren, betrat A._ ihr Zimmer, schloss die Tür ab und legte sich neben sie auf ihr Bett. Er schob dann seine Hand unter ihre Kleider, berührte direkt ihre Genitalien und führte einen Finger in ihre Vagina ein. C._ stiess ihn daraufhin weg und sagte "nein". Anschliessend fuhr er mit der Hand über ihre Brust unter ihren BH und küsste sie mit Zunge, bevor er sagte: "Das bleibt unter uns" und das Zimmer verliess.
Massgebende rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts:
Das Bundesgericht prüft die Schuldsprüche ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der vom Beschwerdeführer gerügten Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung sowie der Verletzung der Unschuldsvermutung (in dubio pro reo).
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Willkür und in dubio pro reo (Grundlagen):
- Das Bundesgericht wiederholt seine ständige Rechtsprechung zum Willkürverbot (Art. 9 BV, Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 LTF) in der Beweiswürdigung: Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon, wenn er diskutabel oder kritisierbar erscheint, sondern nur, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, sowohl in seiner Begründung als auch im Ergebnis (vgl. ATF 148 IV 409 E. 2.2). Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde einen entscheidenden Beweisgrund ohne ernsthaften Grund nicht berücksichtigt, sich über Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich täuscht oder gestützt auf die erhobenen Beweise unhaltbare Schlüsse zieht. Appellatorische Kritik ist unzulässig.
- Die Unschuldsvermutung (Art. 10 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Abs. 2 EMRK) als Beweiswürdigungsregel bedeutet, dass der Richter nicht von der Existenz einer für den Angeklagten ungünstigen Tatsache überzeugt sein darf, wenn aus objektiver Sicht ernsthafte, nicht zu beseitigende Zweifel bestehen. Abstrakte oder theoretische Zweifel genügen nicht (vgl. ATF 148 IV 409 E. 2.2). In der Funktion als Beweiswürdigungsregel hat das in dubio pro reo-Prinzip keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung (vgl. ATF 146 IV 88 E. 1.3.1).
- Bei der Würdigung eines Bündels konvergierender Elemente genügt es nicht, wenn einzelne davon für sich allein genommen unzureichend wären. Die Beweiswürdigung ist als Ganzes zu prüfen. Willkür liegt nicht vor, wenn der Sachverhalt gestützt auf die Gesamtheit der Indizien haltbar abgeleitet werden kann (vgl. Urteile 6B_589/2024 E. 2.1.3, 6B_737/2024 E. 2.1).
- Opferaussagen sind zulässige Beweismittel und vom Richter im Rahmen der Gesamtbewertung aller Beweismittel frei zu würdigen (vgl. Urteile 6B_101/2024 E. 1.1.3, 6B_1232/2023 E. 3.1.1, 7B_108/2023 E. 4.2.4). Sogenannte "Aussage-gegen-Aussage"-Konstellationen führen nicht zwingend aufgrund von in dubio pro reo zu einem Freispruch. Die abschliessende Würdigung obliegt dem Sachgericht (vgl. ATF 137 IV 122 E. 3.3).
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Würdigung der Vorinstanz (von BGer übernommen):
Die Vorinstanz stützte ihre Überzeugung, dass der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfenen Taten begangen hat, auf eine detaillierte Prüfung aller Beweise und ging auf die Einwände des Beschwerdeführers ein.
- Zum Fall B.__: Die Vorinstanz hob hervor, dass die Geschädigte bereits im August/September 2019 mit ihren Erziehern I._ und J._ über die Vorkommnisse gesprochen und dies im Mai 2020 sowie März 2021 wiederholt hatte. Ihre Aussagen gegenüber den Erziehern zur Tatzeit und gegenüber der Polizei Jahre später seien konstant und glaubwürdig gewesen. Der Beschwerdeführer habe keinerlei glaubwürdige Erklärung dafür geliefert, warum diese Anschuldigungen gegen ihn erhoben worden sein sollten. Er habe dies sogar eingeräumt, während er die Tat abstritt. Seine Theorie der Eifersucht eines Kollegen sei unbegründet, seine Behauptungen, das Opfer habe ihn belästigt, unwahrscheinlich. Die Vorinstanz sah in seinen Aussagen eine "omnipräsenz de la sexualité", die in einer professionellen Beziehung deplatziert sei.
- Zum Fall C.__: Die Vorinstanz befand die Version der Geschädigten als klar und konstant. Sie habe sich unmittelbar nach der Tat (am Folgetag) mehreren Betreuungspersonen anvertraut. Erzieher M.__ habe bestätigt, dass sie nicht lüge, nicht fabuliere, noch nie solche Anschuldigungen erhoben habe und ihre kognitiven Einschränkungen es ihm zufolge nicht erlaubten, eine solche Geschichte zu erfinden. Der psychische Zustand der Geschädigten unmittelbar nach den Vorkommnissen habe die Realität ihres Berichts bestätigt. Zudem wurde DNA des Beschwerdeführers im Inneren der Unterhose der Geschädigten gefunden (im Bereich des Schambereichs und der Gummizugnähte). Die Erklärung des Beschwerdeführers hierfür (er habe die Unterhose zum Waschen aufgehoben) sei nicht überzeugend gewesen.
- Konvergenz der Fälle: Die Vorinstanz betonte, dass zwei Frauen mit Behinderung in unterschiedlichen Einrichtungen, die sich nicht kannten, ähnliche Taten gegen den Beschwerdeführer zur Anzeige brachten. Dies verstärke die Glaubwürdigkeit beider Berichte erheblich und schliesse eine zufällige Übereinstimmung praktisch aus (vgl. angefochtenes Urteil, E. 3.3 S. 15 ff.).
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Prüfung der Beschwerdegründe durch das Bundesgericht:
Das Bundesgericht stellt fest, dass die Argumentation des Beschwerdeführers in der Beschwerde lediglich in einer freien, appellatorischen Neubewertung der Fakten und Beweise besteht. Er zeige nicht auf, dass die vorinstanzliche Würdigung, die auf einem Bündel konvergierender Indizien beruhte, offensichtlich unhaltbar sei.
- Zu Fall B.__: Der Beschwerdeführer führte diverse Punkte an, die aus seiner Sicht Zweifel begründen sollten (zweiter schwarzer Erzieher, Opferaussage, dass sie nicht den Namen nennen könne, Opferaussage, dass sie lügen könne/fabulieren, sie habe ihn gemocht, sie habe ihn erst nach der Anzeige von C._ angezeigt). Das Bundesgericht hält dem entgegen, dass die Vorinstanz diese Punkte sehr wohl berücksichtigt habe (z.B. die Aussage des Erziehers I._ über die Neigung zum Lügen "wie Kinder", aber auch dessen Eindruck von der Aufrichtigkeit, Bedrängnis und Konstanz der Aussagen des Opfers zu diesem spezifischen Vorfall). Es sei nicht willkürlich, diesem Zeugenbeweis und den konstanten Aussagen des Opfers mehr Gewicht beizumessen als den Einwänden. Zwar habe das Opfer in der 2022 aufgenommenen Befragung den Namen nicht genannt, doch die Notizen und die Aussage des Erziehers I.__ zeigten, dass sie 2019 mehrmals den Beschwerdeführer namentlich als den Mann bezeichnete, der ihr sein Geschlecht gezeigt habe – ein Zeugnis, das der Beschwerdeführer nicht substanziiert bestritten habe. Der Zeitpunkt der Anzeige nach Kenntnis der anderen Anzeige sei kein stichhaltiges Gegenargument, zumal die fehlende Kenntnis der Opfer voneinander unbestritten sei.
- Zu Fall C.__: Die Vorinstanz habe auch hier die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Zweifel (angebliche Anwesenheit anderer Personen in der Wohnung, Aussage des Erziehers L.__, dass er die Plausibilität nicht wisse, aber das Opfer ehrlich wirke, frühere Berührungen des Opfers, die DNA-Spuren) geprüft und entkräftet oder als nicht ausschlaggebend bewertet. Die Anwesenheit anderer Personen sei gemäss den Aussagen beider Beteiligten ohnehin nicht von Bedeutung gewesen, da sie abwesend waren oder sich entfernten. Die Vorinstanz sei nicht in Willkür verfallen, indem sie den psychischen Zustand des Opfers vor der Tat als stabil ansah, da psychologische Betreuung erst nach der Tat begann. Der Hinweis auf frühere Berührungen des Opfers bleibe unklar, was der Beschwerdeführer daraus ableiten wolle. Bezüglich der DNA-Spuren beschränke sich der Beschwerdeführer darauf, seine eigene Bewertung des Gutachtens derjenigen der Vorinstanz entgegenzuhalten, ohne Willkür aufzuzeigen.
Insgesamt befand das Bundesgericht, dass die Vorinstanz nicht in Willkür verfallen ist und auch die Unschuldsvermutung nicht verletzt hat, indem sie die Aussagen der Geschädigten bevorzugte und gestützt darauf sowie auf weitere konvergierende Elemente (insb. DNA-Spur und Konvergenz der beiden Anzeigen) den Sachverhalt als erwiesen erachtete.
Nebenpunkte:
Die Anträge auf aufschiebende Wirkung wurden durch den Entscheid in der Sache gegenstandslos. Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege für das Bundesgerichtsverfahren wurden mangels Erfolgsaussichten abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt, unter Berücksichtigung seiner finanziellen Verhältnisse.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen sexueller Nötigung und sexueller Handlungen mit urteils- oder widerstandsunfähigen Personen.
- Die Bestätigung stützt sich auf die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung, die vom Bundesgericht als nicht willkürlich befunden wurde.
- Wesentliche Beweise für die Verurteilung sind: die als glaubwürdig und konstant beurteilten Aussagen der Geschädigten (trotz deren kognitiver Einschränkungen), die Einschätzungen der Betreuungspersonen zur Glaubhaftigkeit der Aussagen, der psychische Zustand der Geschädigten nach den Taten, die gefundenen DNA-Spuren des Beschwerdeführers im Inneren der Unterhose eines Opfers und die Konvergenz zweier voneinander unabhängiger, aber ähnlicher Anschuldigungen von schutzbedürftigen Personen.
- Die Einwände des Beschwerdeführers wurden als reine appellatorische Kritik oder als nicht geeignet zur Aufzeigung von Willkür in der Gesamtbewertung der Beweise abgewiesen.
- Die Prinzipien des Willkürverbots und der Unschuldsvermutung wurden von der Vorinstanz gemäss Bundesgericht eingehalten, da die Beweislage eine überzeugende Schlussfolgerung zulässt, die nicht offensichtlich unhaltbar ist.