Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 8. Mai 2025 (Az. 2C_82/2025) detailliert für Sie zusammen:
Einleitung
Das Urteil betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Jura vom 12. Dezember 2024. Gegenstand des Verfahrens ist eine Disziplinarmassnahme, konkret eine Busse, die einem im Kanton Neuenburg registrierten Rechtsanwalt (Beschwerdeführer A.__) von der Chambre des avocats des Kantons Jura (Anwaltskammer) auferlegt und vom Kantonsgericht bestätigt (wenn auch in der Höhe reduziert) wurde. Die Massnahme erfolgte wegen Verstössen gegen die beruflichen Pflichten, insbesondere wegen unangemessener Äusserungen gegenüber Behörden und der Missachtung der Regeln zum Interessenkonflikt.
Sachverhalt (Massgebliche Punkte)
Der Disziplinarfall hat seinen Ursprung in einem Verfahren der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) des Kantons Jura zugunsten eines Kindes (B._). Der Beschwerdeführer A._ vertrat die Eltern des Kindes. Im Rahmen dieses Mandats kam es zu mehreren Vorfällen, die zur Eröffnung des Disziplinarverfahrens führten:
- Schreiben an den KESB-Präsidenten (23. März 2021): Der Beschwerdeführer verwendete in diesem Schreiben einen als respektlos und beleidigend beurteilten Tonfall. Zitate wie "A l'évidence, vous n'avez pas compris la structure judiciaire de ce pays mais n'avez surtout pas compris, dans un esprit revanchard totalement incompréhensible, quelle était la mission qui vous était confiée..." oder "J'ignorais que les avocats pouvaient être évincés de la sorte mais je n'avais jamais vu un président d'autorité [...] perdre ses nerfs à telle enseigne de devoir lancer sur une stagiaire une décision" wurden als Verstoss gegen die Sorgfaltspflicht und die allgemeine Pflicht zur Achtung gegenüber den Behörden gewertet.
- Strafanzeige gegen den KESB-Präsidenten (23. März 2021): Im Namen seiner Klienten reichte der Beschwerdeführer eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs ein, weil eine superprovisorische Entscheidung nicht ihm als Mandatsträger zugestellt worden sei.
- Gegen-Strafanzeige des KESB-Präsidenten (8. April 2021): Der KESB-Präsident reichte eine Strafanzeige wegen Ehrverletzung, Verleumdung und eventuell Irreführung der Rechtspflege gegen die Klientin D.__ und den Beschwerdeführer persönlich ein. An demselben Tag trat der Präsident im KESB-Verfahren in Ausstand.
- Benachrichtigung des Beschwerdeführers über seine Mitbeschuldigtenstellung (26. April 2021): Die Staatsanwaltschaft teilte dem Beschwerdeführer mit, dass gegen ihn und seine Klientin D.__ eine Strafanzeige vorliegt und die Verfahren verbunden wurden. Sie forderte ihn auf, sich zu seinem Mandat zu äussern, da er nun persönlich Verfahrenspartei sei.
- Disziplinarische Denunziation bei der Anwaltskammer (14. April 2021 ff.): Der KESB-Präsident denunzierte den Beschwerdeführer bei der Anwaltskammer wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten aufgrund des Inhalts verschiedener Schreiben.
- Schreiben an die Jurassische Regierung (24. November 2021): Der Beschwerdeführer reichte eine "administrative Dénonciation" gegen den KESB-Präsidenten ein und sprach von einem "unheilvollen Spiel" (jeu malsain) von drei Dienstchefs desselben Departements zum Schutz des KESB-Präsidenten, ohne dies näher zu substanziieren.
- Schreiben an den KESB-Vizepräsidenten (18. August 2022): Der Beschwerdeführer warf dem Vizepräsidenten Störung fremder Hoheitsgewalt (Art. 299 StGB) bzw. Anstiftung dazu (Art. 24 StGB) sowie Amtsmissbrauch (Art. 312 StGB) vor und drohte mit einer persönlichen Strafanzeige.
- Entscheid über die Postulationsfähigkeit (19. September 2022 / 25. November 2022): Die Staatsanwaltschaft und in Bestätigung das Kantonsgericht Jura (Strafrechtliche Beschwerdekammer) verneinten die Postulationsfähigkeit des Beschwerdeführers in der Strafsache, in der er zusammen mit seiner Klientin beschuldigt war, wegen eines konkreten Interessenkonflikts. Dieser Entscheid wurde nicht ans Bundesgericht weitergezogen und erwuchs in Rechtskraft.
- Meldung des Interessenkonflikts an die Anwaltskammer (15. Februar 2023): Die Staatsanwaltschaft meldete der Anwaltskammer, dass der Beschwerdeführer eine Klientin vertritt, obwohl er in derselben Sache Mitbeschuldigter sei.
Entscheide der Vorinstanzen
- Entscheid der Anwaltskammer (25. März 2024): Die Anwaltskammer verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Busse von CHF 15'000. Sie befand ihn schuldig der Verletzung der Sorgfaltspflicht (Schreiben vom 23. März 2021, 24. November 2021, 18. August 2022) sowie der Verletzung des Interessenkonfliktverbots (Vertretung der Mitbeschuldigten Klientin).
- Entscheid des Kantonsgerichts Jura (12. Dezember 2024): Das Kantonsgericht hiess die Beschwerde des Anwalts teilweise gut und reduzierte die Busse auf CHF 5'000 unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab und bestätigte die von der Anwaltskammer festgestellten Verstösse.
Verfahren vor Bundesgericht
Der Beschwerdeführer gelangte mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Er beantragte im Wesentlichen die Abweisung der den Disziplinarverfahren zugrundeliegenden Denunziation der Staatsanwaltschaft vom 15. Februar 2023 und die Aufhebung der Busse von CHF 5'000, eventuell deren Reduktion auf einen Verweis oder eine Busse von maximal CHF 1'000. Die Anwaltskammer und das Kantonsgericht beantragten die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen des Bundesgerichts
- Zulässigkeit: Die Beschwerde ist grundsätzlich zulässig (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, 90 BGG). Der Antrag auf Abweisung der Denunziation vom 15. Februar 2023 ist jedoch unzulässig, da Gegenstand des Verfahrens die Sanktion der Anwaltskammer und des Kantonsgerichts ist, nicht die Eröffnung des Disziplinarverfahrens.
- Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1, 105 BGG): Das Bundesgericht prüft die Sachverhaltsfeststellung nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV). Der Beschwerdeführer wirft dem Kantonsgericht willkürliche Sachverhaltsfeststellung vor, indem es das Gutachten der Untersuchungsführerin zum Interessenkonflikt und die zeitliche Abfolge der Entscheide zur Postulationsunfähigkeit ignoriert habe. Das Bundesgericht weist diese Rügen zurück. Die Frage des Interessenkonflikts ist primär eine Rechtsfrage, nicht eine Sachverhaltsfrage. Die Daten der relevanten Entscheide (Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 26. April 2021, Entscheid zur Postulationsunfähigkeit vom 19. September 2022) sind im angefochtenen Urteil erwähnt und festgestellt. Soweit der Beschwerdeführer seine rechtlichen Argumente auf vom angefochtenen Urteil abweichende Sachverhalte stützt, ohne die erforderliche qualifizierte Rüge der Willkür (Art. 106 Abs. 2 BGG) zu erheben, werden diese unbeachtet gelassen.
- Verstösse gegen die Anwaltsregeln:
- Der Beschwerdeführer bestreitet die Feststellungen des Kantonsgerichts bezüglich der unzulässigen Äusserungen in verschiedenen Schreiben nicht. Dies wird vom Bundesgericht zur Kenntnis genommen.
- Der Kern der rechtlichen Auseinandersetzung betrifft daher den Interessenkonflikt und die Höhe der Sanktion.
- Interessenkonflikt (Art. 12 lit. c BGFA):
- Rechtliche Grundlagen: Art. 12 lit. c des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA) schreibt vor, dass der Anwalt jeden Konflikt zwischen den Interessen seines Klienten und denen von Personen, mit denen er beruflich oder privat in Beziehung steht, vermeiden muss. Diese Bestimmung umfasst auch den Konflikt zwischen den eigenen Interessen des Anwalts und denen seiner Klienten (Verweis auf Rechtsprechung: BGE 145 IV 218 E. 2.1, Urteil 2C_636/2023 E. 8.1). Es handelt sich um eine Kardinalpflicht des Anwaltsberufs, die mit der Sorgfalts- (Art. 12 lit. a BGFA), Unabhängigkeits- (Art. 12 lit. b BGFA) und Geheimhaltungspflicht (Art. 13 BGFA) verbunden ist. Die Regel dient dem Schutz der Klienteninteressen und der Gewährleistung eines reibungslosen Prozessablaufs.
- Voraussetzung: Es bedarf eines konkreten Risikos eines Interessenkonflikts, kein bloss abstraktes oder theoretisches. Sobald ein Konflikt auftritt, muss der Anwalt das Mandat niederlegen. Es ist nicht erforderlich, dass sich das Risiko bereits realisiert hat.
- Anwendung auf den Fall: Das Bundesgericht hält fest, dass das Vorliegen eines Interessenkonflikts zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Klientin in der Strafsache, in der beide Mitbeschuldigte waren, durch das rechtskräftige Urteil des Kantonsgerichts Jura vom 25. November 2022 (das die Postulationsunfähigkeit bestätigte) verbindlich festgestellt wurde ("est établi par l'arrêt rendu le 25 novembre 2022 par le Tribunal cantonal du canton du Jura"). Da dieser Entscheid nicht ans Bundesgericht weitergezogen wurde, erwuchs er in Rechtskraft ("est entré en force de chose jugée et l'existence du conflit d'intérêts établie. Il n'y a pas lieu d'y revenir.").
- Pflicht zur Mandatsniederlegung: Gestützt auf Art. 12 lit. c BGFA hätte der Beschwerdeführer das Mandat, sobald er von seiner Mitbeschuldigtenstellung erfahren hatte (Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 26. April 2021), niederlegen müssen. Sein Verhalten, dies nicht zu tun, war rechtswidrig ("comportement illicite"). Das Argument des Beschwerdeführers, diese Pflicht hindere ihn daran, seine eigenen Rechte wahrzunehmen oder Rechtsmittel zu ergreifen, wird zurückgewiesen. Die Klientin hätte beantragen können, das Strafverfahren gegen sie zu sistieren, bis die Frage des Interessenkonflikts geklärt ist. In der Zwischenzeit hätte der Anwalt das Mandat gemäss Art. 12 lit. c BGFA niederlegen müssen. Dieses Vorgehen würde die Rechte sowohl des Anwalts als auch der Klientin wahren und das Risiko vermeiden, dass eine Gegenanzeige als Rechtsmissbrauch gewertet wird.
- Fazit zum Interessenkonflikt: Das Kantonsgericht hat das Recht korrekt angewendet, indem es eine Verletzung der Unabhängigkeitspflicht aus Art. 12 lit. c BGFA feststellte. Dieser Teil der Beschwerde wird abgewiesen.
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Höhe der Sanktion (Art. 17 BGFA):
- Rechtliche Grundlagen: Art. 17 Abs. 1 BGFA nennt die möglichen Disziplinarmassnahmen (Verwarnung, Verweis, Busse bis CHF 20'000, temporäres/definitives Berufsverbot). Die Busse gehört zu den mittelschweren Massnahmen. Die Behörde verfügt über ein Ermessen, das jedoch die Grundsätze der Gleichheit, Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2, 36 Abs. 3 BV) und Willkürfreiheit (Art. 9 BV) beachten muss. Das Bundesgericht prüft die Angemessenheit der Sanktion mit Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die Sanktion klar unverhältnismässig ist und an Willkür grenzt (Verweis auf Urteil 2C_868/2022 E. 5.1).
- Anwendung auf den Fall:
- Schuldgrad: Das Bundesgericht listet die festgestellten Verstösse auf: unnötig verletzende Äusserungen gegenüber dem KESB-Präsidenten; falsche Behauptung einer Straftat gegenüber der Regierung (Strafanzeige), wobei die Fakten übertrieben und unwahr dargestellt wurden; Qualifizierung von Massnahmen als "unheilvolles Spiel"; Drohung einer Strafanzeige gegen den KESB-Vizepräsidenten; und die Verweigerung der Niederlegung des Mandats trotz Interessenkonflikts als Mitbeschuldigter. Diese Verstösse ereigneten sich in kurzer Zeit und waren vierfacher Natur. Der Ton und die Worte waren unangemessen, verletzend und nutzlos. Die angewandten Mittel zur Ausübung von Druck auf die Behörden waren ungeeignet. Der Beschwerdeführer weigerte sich, das Mandat wegen des Interessenkonflikts niederzulegen. Angesichts dieser vierfachen Verletzung beurteilte das Kantonsgericht die Schuld des Beschwerdeführers zu Recht als nicht gering ("ne pouvait pas être qualifiée de légère").
- Angemessenheit der Sanktion: Ein Verweis (blâme), wie vom Beschwerdeführer primär beantragt, ist angesichts der Schwere der Verstösse ausgeschlossen.
- Argumente des Beschwerdeführers zur Reduktion: Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Schritte seien legitim gewesen und hätten auf unbegründete und beängstigende Entscheidungen reagiert. Das Bundesgericht weist dies zurück. Seine anwaltlichen Pflichten verlangten einen anderen Ton, die Wahl angemessener Mittel und die Niederlegung des Mandats bei Interessenkonflikt. Seine Einwände zeigen, dass er den rechtswidrigen Charakter seines Verhaltens immer noch nicht erkannt hat.
- Bekanntheit beim Bundesgericht: Das Bundesgericht merkt ergänzend und von Amtes wegen an, dass der Beschwerdeführer dem Bundesgericht notorisch bekannt sei. Es verweist auf vier frühere Urteile, in denen Beschwerden von ihm abgewiesen wurden: zwei, die Sanktionen (Verwarnung, Busse) wegen Verletzung der allgemeinen Höflichkeitspflicht gegenüber Behörden und Gegenparteien betrafen (2C_420/2024, 2C_247/2014), und zwei weitere, die seine Postulationsunfähigkeit in direkt mit der KESB Jura verbundenen Fällen zum Gegenstand hatten (1B_476/2022, 5A_124/2022). Diese Anmerkung impliziert, dass die Vorinstanz mit der reduzierten Busse von CHF 5'000 "sehr grosszügig" gehandelt hat ("s'est du reste montrée très généreuse envers le recourant"). Ein weiteres Reduzieren auf CHF 1'000 ist ausgeschlossen.
- Berücksichtigung mildernder Umstände: Das Kantonsgericht hat bei der Festsetzung der Busse die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers und den Umstand, dass er keinen wirtschaftlichen Vorteil aus seinem Verhalten gezogen hat, berücksichtigt.
- Fazit zur Sanktion: Angesichts der multiple Verletzungen, der nicht geringen Schuld und der Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse hat das Kantonsgericht mit der Busse von CHF 5'000 sein Ermessen nicht überschritten und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht verletzt. Dieser Teil der Beschwerde wird ebenfalls abgewiesen.
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Kosten: Der unterliegende Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es werden keine Parteikosten zugesprochen (Art. 68 Abs. 1 und 3 BGG).
Entscheid des Bundesgerichts
Die Beschwerde wird abgewiesen. Die Gerichtskosten von CHF 2'000 werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Das Bundesgericht bestätigt die Disziplinarbusse von CHF 5'000 gegen den Rechtsanwalt A.__. Die wesentlichen Punkte sind:
- Der Anwalt hat mehrfach gegen seine beruflichen Pflichten verstossen, insbesondere durch die Verwendung unangemessener und beleidigender Sprache gegenüber Behörden in verschiedenen Schreiben und durch die Missachtung der Regeln zum Interessenkonflikt.
- Der Interessenkonflikt ergab sich aus seiner Position als Mitbeschuldigter in einem Strafverfahren, in dem er gleichzeitig seine Klientin verteidigte.
- Die Existenz dieses Interessenkonflikts war durch einen früheren, nicht angefochtenen Gerichtsentscheid zur Postulationsunfähigkeit rechtskräftig festgestellt.
- Gestützt auf Art. 12 lit. c BGFA hätte der Anwalt das Mandat, sobald er von seiner Mitbeschuldigtenstellung Kenntnis erlangt hatte, sofort niederlegen müssen. Sein Versäumnis hierzu war rechtswidrig.
- Die Sanktion der Busse von CHF 5'000 ist angesichts der mehrfachen und nicht geringen Pflichtverletzungen, einschliesslich des schweren Verstosses gegen das Interessenkonfliktverbot, verhältnismässig.
- Das Bundesgericht übt bei der Überprüfung der Sanktionshöhe Zurückhaltung aus und stellte fest, dass das Kantonsgericht die finanzielle Situation des Anwalts sowie das Fehlen eines wirtschaftlichen Vorteils mildernd berücksichtigt hatte. Zudem wurde implizit angemerkt, dass die Busse angesichts der wiederholten Verstösse des Anwalts und seiner Bekanntheit beim Bundesgericht nicht als zu hoch erscheint.