Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_598/2024 vom 19. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 8C_598/2024 vom 19. Mai 2025:

1. Einleitung und Streitgegenstand

Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 8C_598/2024 vom 19. Mai 2025 betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Genf (Cour de justice), Kammer für Sozialversicherungen, vom 4. September 2024. Streitgegenstand ist die Qualifizierung der Erwerbstätigkeit von B._ für die A._ SA (der Beschwerdeführerin) als unselbstständig oder selbstständig im Sinne der Unfallversicherung (Unfallversicherungsgesetz, UVG) für die Periode vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022. Die Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA) hatte die Tätigkeit als unselbstständig qualifiziert und der A.__ SA entsprechende Prämienrechnungen gestellt.

2. Sachverhalt und Vorverfahren

Der Sachverhalt begann mit der Gründung eines Unternehmens durch B._ im Jahr 2019 (C._). Er informierte die CNA über seine Situation bezüglich Unfall- und AHV-Versicherung. Nach einer ersten Einschätzung als selbstständig (Dezember 2022) reklassifizierte die CNA die Situation von B.__ als "doppelten Status": selbstständig für eigene Aufträge, aber unselbstständig, wenn er als Subunternehmer oder für Personalverleihfirmen tätig war (Februar 2023).

Die CNA informierte daraufhin die A._ SA, dass sie B._'s Tätigkeit für sie als unselbstständig betrachte und forderte die Lohnsummen für die Jahre 2020-2022 an. Die A.__ SA übermittelte die Rechnungsbeträge (total 255'020 Fr.). Gestützt darauf erliess die CNA definitive Prämienrechnungen für die Periode vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022.

Die A._ SA erhob Einsprache gegen diese Verfügung. Nach Einholung weiterer Auskünfte wies die CNA die Einsprache mit Entscheid vom 13. November 2023 ab und bestätigte die unselbstständige Tätigkeit von B._ für die A.__ SA.

Gegen diesen Einspracheentscheid erhob die A._ SA Beschwerde beim Kantonsgericht Genf. Sie beantragte u.a. die Einbeziehung (Appel en cause) von B._ in das Verfahren. Das Kantonsgericht forderte die CNA auf, ihre Beschwerdeantwort und die Akten (Papier und elektronisch) einzureichen. Die CNA beantragte die Abweisung der Beschwerde und gab an, zur Begründung zwei Dossiers einzureichen: das Dossier der A._ SA (Nr. yyy) und das Dossier von C._, d.h. von B._ (Nr. xxx). Das Kantonsgericht lud die Beschwerdeführerin zur Replik ein und informierte über die Möglichkeit der Akteneinsicht. Das Gericht sandte der A._ SA "den CD-Rom der Akten der Gegenpartei" zu. Die A._ SA sandte den CD-Rom zurück. In ihrer Replik rügte die A._ SA u.a., dass sie das Dossier Nr. xxx nicht habe einsehen können, und verlangte dessen Herausgabe. Das Kantonsgericht bezog B._ zwar ins Verfahren ein, dieser äusserte sich jedoch nicht. Mit Urteil vom 4. September 2024 wies das Kantonsgericht die Beschwerde der A._ SA ab.

3. Rügen vor Bundesgericht

Die Beschwerdeführerin, A._ SA, erhob Beschwerde an das Bundesgericht und rügte in erster Linie eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Sie machte geltend, das Kantonsgericht habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt, indem es annahm, die CNA habe das Dossier Nr. xxx spontan eingereicht und eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs sei dadurch im kantonalen Verfahren geheilt worden. Sie behauptete, auf dem ihr vom Kantonsgericht zugesandten CD-Rom sei nur das Dossier Nr. yyy (A._ SA) enthalten gewesen, nicht aber das Dossier Nr. xxx (B._/C._), obwohl die CNA sich auch auf Unterlagen aus diesem Dossier gestützt habe. Zur Stützung ihrer Behauptung reichte sie vor Bundesgericht eine Kopie des ihr zugesandten CD-Roms ein (auf einem USB-Stick), welche tatsächlich nur das Dossier Nr. yyy enthielt.

4. Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde und des neu eingereichten Beweismittels (USB-Stick). Es hielt fest, dass das neue Beweismittel (USB-Stick mit Kopie des CD-Roms) ausnahmsweise zulässig sei (Art. 99 LTF), da es dazu diene, die offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung des Kantonsgerichts zu beweisen und die Verletzung des rechtlichen Gehörs darzulegen.

Das Bundesgericht stellte fest, dass die CNA entgegen der Rüge der Beschwerdeführerin das Dossier Nr. xxx (von B._/C._) sowohl in Papierform als auch elektronisch beim Kantonsgericht eingereicht hatte. Es gebe keinen Grund, dies anzuzweifeln, zumal die dem Bundesgericht vom Kantonsgericht übermittelten Akten beide Dossiers (yyy und xxx) enthielten, jeweils mit einem CD-Rom.

Das Problem lag jedoch darin, dass das Kantonsgericht der Beschwerdeführerin "aus unerklärlichen Gründen" nur das Dossier Nr. yyy zugesandt hatte, wie aus dem Schreiben des Kantonsgerichts vom 18. Januar 2024 hervorging, in dem von "dem CD-Rom" die Rede war (Singular). Das Bundesgericht stellte fest, dass aus der Replik der Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren klar hervorgehe, dass diese das Dossier Nr. xxx nicht habe konsultieren können.

Kernargument des Bundesgerichts: Entgegen der Auffassung der Vorinstanz (des Kantonsgerichts) konnte eine allfällige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die CNA nicht dadurch geheilt werden, dass das vollständige Dossier im kantonalen Verfahren eingereicht wurde, wenn ein Teil dieses Dossiers (Nr. xxx) der Beschwerdeführerin trotz ihrer Anfrage nicht übermittelt wurde. Indem das Kantonsgericht das Dossier Nr. xxx der Beschwerdeführerin nicht zugänglich machte, verletzte es selbst den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).

Das Bundesgericht bekräftigte den Grundsatz, dass ein solcher Mangel des rechtlichen Gehörs, der von der kantonalen Instanz begangen wurde (Verletzung des Anspruchs auf Akteneinsicht), im bundesgerichtlichen Verfahren nicht geheilt werden kann (Verweis auf BGE 142 II 218 E. 2.8; 137 I 195 E. 2.7). Gemäss gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichts führt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, insbesondere das Verwehren der Akteneinsicht in entscheidrelevante Unterlagen, zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Sache selbst (Verweis auf BGE 148 IV 22 E. 5.5.2; 144 I 11 E. 5.3).

Daher musste das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid aufheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Kantonsgericht zurückweisen, ohne die materielle Frage der Qualifizierung der Erwerbstätigkeit als unselbstständig oder selbstständig zu prüfen.

5. Entscheid

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, hob den angefochtenen Entscheid des Kantonsgerichts Genf auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an dieses zurück.

6. Kosten

Der Kanton Genf wurde von den Gerichtskosten befreit (Art. 66 Abs. 4 LTF). Er hat der Beschwerdeführerin jedoch eine Parteientschädigung zu zahlen.

7. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Streitfrage: Qualifizierung der Erwerbstätigkeit für die Unfallversicherung (unselbstständig vs. selbstständig).
  • Proceduraler Kernpunkt: Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil ihr vom Kantonsgericht ein entscheidwesentliches Dossier (Dossier Nr. xxx von B._/C._), auf das sich die CNA gestützt hatte, nicht zur Einsichtnahme zugänglich gemacht wurde.
  • Bundesgerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht bestätigte, dass die CNA das Dossier dem Kantonsgericht eingereicht hatte, aber das Kantonsgericht es versäumt hatte, es der Beschwerdeführerin zuzustellen.
  • Rechtliche Würdigung: Dieses Versäumnis des Kantonsgerichts stellt eine direkte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Akteneinsicht) dar.
  • Konsequenz: Eine solche Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz kann vom Bundesgericht nicht geheilt werden. Sie führt zwingend zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung, unabhängig davon, wie die materielle Frage der Qualifizierung der Erwerbstätigkeit zu beurteilen wäre.
  • Ergebnis: Die Beschwerde wurde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs gutgeheissen und die Sache an das Kantonsgericht zurückgewiesen.