Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_704/2024 vom 13. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 1C_704/2024 des Schweizerischen Bundesgerichts:

Bundesgericht, Urteil 1C_704/2024 vom 13. Mai 2025

Gegenstand: Materielle Enteignung

Parteien: * Beschwerdeführerin: Architekturbüro A.__ AG (Grundeigentümerin) * Beschwerdegegnerin: Stadt Bülach (Gemeinde, die die Umzonung vornahm) * Schätzungskommission Kreis I (Vorinstanz auf kantonaler Ebene)

Hintergrund und Verfahrensgeschichte:

Das Urteil betrifft ein langjähriges Verfahren um eine mögliche Entschädigung aus materieller Enteignung. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin zweier Parzellen in Bülach. Diese wurden 1996 im Rahmen einer Gesamtrevision der kommunalen Zonenordnung von einer Freihaltezone Typ F (gemäss Richtplan für Sportplatz/Freibad vorgesehen) in eine Erholungszone EC III (Familiengartenareal) umgezont. Diese Umzonung wurde 1999 rechtskräftig.

Die Grundeigentümerin machte daraufhin eine Entschädigung aus materieller Enteignung geltend. Nachdem Verhandlungen scheiterten, gelangte die Sache an die kantonale Schätzungskommission, die den Antrag 2015 abwies. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich bestätigte dies 2017.

Das Bundesgericht hiess jedoch mit Urteil 1C_473/2017 vom 3. Oktober 2018 eine Beschwerde der Grundeigentümerin gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Schätzungskommission zurück. Nach dieser Rückweisung gelangte die Schätzungskommission 2023 und das Verwaltungsgericht 2024 erneut zum Schluss, dass keine Entschädigung geschuldet sei. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2024 erhob die Grundeigentümerin erneut Beschwerde an das Bundesgericht.

Rechtliche Ausgangslage gemäss erstem Bundesgerichtsentscheid (1C_473/2017):

Das Bundesgericht legte im ersten Entscheid (E. 2) mehrere für die erneute Beurteilung massgebende Punkte fest:

  1. Beurteilung als Auszonung: Das Entschädigungsbegehren sei korrekt nach den Regeln der Auszonung zu beurteilen, da die Umzonung im Rahmen einer Gesamtrevision der Zonenordnung nach Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes (RPG) erfolgte (E. 2.3).
  2. Charakter der Zonen: Sowohl die frühere Freihaltezone als auch die neue Erholungszone sind keine Bauzonen im Sinne des RPG, sondern Schutz- oder Spezialzonen nach Art. 17 und 18 RPG (E. 2.4).
  3. Grundsatz der entschädigungslosen Planungsänderung vs. materielle Enteignung: Grundeigentümer müssen nach Ablauf eines Planungshorizonts (10-15 Jahre) grundsätzlich mit Planungsänderungen rechnen und diese entschädigungslos hinnehmen. Eine Entschädigungspflicht besteht nur, wenn wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnisse entzogen werden, namentlich die Überbauungsmöglichkeit. Dies kann sich auch ausserhalb der Bauzone ergeben, obwohl dort ein enteignungsähnlicher Eingriff häufig fehlt (E. 2.6).
  4. Entzug einer wesentlichen Befugnis im konkreten Fall: Im Hinblick auf eine potenzielle Nutzung als Sportanlage stand die frühere Freihaltezone einer Zone für öffentliche Bauten nahe, wo unter Umständen eine intensive Nutzung möglich gewesen wäre. Durch die Umwidmung zum Familiengartenareal wurde das Gebiet einer extensiven Nutzung zugeführt. Dadurch wurde der Beschwerdeführerin dem Grundsatz nach eine wesentliche Eigentümerbefugnis entzogen. Der Eingriff sei nicht derart geringfügig, dass eine Entschädigungspflicht von vornherein ausgeschlossen wäre (E. 2.7).
  5. Schätzungsmethode:
    • Die Vorinstanzen stützten sich auf die Ertragswertmethode und verneinten einen Schaden, da Familiengärten wirtschaftlich nicht weniger ertragreich seien als eine Sportanlage. Das Bundesgericht befand jedoch, dass die Ertragswertmethode hier dem Anspruch auf volle Entschädigung (Marktwert) nicht genüge (E. 3.4).
    • Bei unüberbauten Grundstücken stehe nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung die statistische Methode (Vergleichsmethode) im Vordergrund. Diese sei zuverlässiger, da sie auf realen Transaktionen basiere (im Gegensatz zu hypothetischen Methoden wie Ertragswert oder Rückwärtsrechnung). Die Vorinstanz habe die Vergleichsmethode ohne konkrete Abklärungen abgelehnt. Es sei nicht von vornherein auszuschliessen, dass Vergleichspreise existierten (auch in anderen Gemeinden). Daher sei weiterhin offen, ob eine Verkehrswertschätzung mit der Vergleichsmethode erbracht werden könne (E. 3.4 und 3.5).
    • Nur wenn es an tauglichen Vergleichspreisen fehle, sei eine andere geeignete Schätzungsmethode beizuziehen. Diesfalls dürften keine übertriebenen Anforderungen an die Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Eigentümer gestellt werden (E. 3.5).
  6. Realisationseignung: Das Argument, für eine Sportanlage wäre ein Gestaltungsplan nötig gewesen, dürfe eine Entschädigungspflicht nicht leichthin verneinen. Die langjährige Planungsabsicht der Gemeinde für eine Sportanlage am Standort müsse bei der Prüfung der "hohen Realisierungswahrscheinlichkeit" sorgfältig berücksichtigt werden (E. 4.1).

Das aktuelle Urteil des Bundesgerichts (1C_704/2024):

Das Bundesgericht prüft, ob die kantonalen Instanzen den Vorgaben des Rückweisungsentscheids 1C_473/2017 nachgekommen sind (E. 3 und 4).

  1. Bindungswirkung der Rückweisung (E. 3.1): Das Bundesgericht erinnert an den Grundsatz, dass kantonale Instanzen an die rechtliche Beurteilung im Rückweisungsentscheid gebunden sind. Dies gilt auch für das Bundesgericht selbst.
  2. Massgebende Schätzungsmethode nach Rückweisung (E. 3.2): Es wird wiederholt, dass die Vergleichsmethode bei unüberbauten Grundstücken die zuverlässigste ist und Vorrang hat, da sie auf realen Transaktionen beruht (Verweis auf BGE 122 I 168, 115 Ib 408, 114 Ib 286).
  3. Vorgehen der kantonalen Instanzen nach Rückweisung (E. 3.3):
    • Die Schätzungskommission ersuchte Grundbuchämter in mehreren Bezirken um Handänderungsdaten für Freihaltezonen.
    • Die Grundbuchämter verweigerten die Amtshilfe mit dem Argument, die Daten seien nicht zonenspezifisch erfasst und der Aufwand sei zu hoch.
    • Eine spezifischere Anfrage betreffend bestimmte Grundstücke wurde ebenfalls abgewiesen.
    • Eine Auswertung des Statistischen Amts des Kantons Zürich über Verkäufe in Freihaltezonen wurde eingeholt, aber von der Schätzungskommission als unvollständig und unbrauchbar für Vergleichszwecke eingestuft.
    • Schlussfolgerung der Schätzungskommission: Es konnten keine Vergleichswerte ermittelt werden. Es sei daher weiterhin die Ertragswertmethode anzuwenden.
  4. Beurteilung des Verwaltungsgerichts zu diesem Vorgehen (E. 3.4):
    • Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass die Verweigerung der Amtshilfe durch die Grundbuchämter eine Pflichtverletzung darstellte und die Schätzungskommission hätte darauf bestehen müssen (mittels Aufsichtsbeschwerde).
    • ABER: Das Verwaltungsgericht gelangt zum Schluss, dass dieser Mangel keinen Einfluss auf die Verkehrswertschätzung habe.
    • Begründung des Verwaltungsgerichts: Die Auswertung des Statistischen Amts zeige nur wenige Verkäufe von unüberbautem Land in Freihaltezonen in den betreffenden Bezirken (20 in Bülach, 5 in Dielsdorf). Bereits diese geringe Zahl spreche gegen die Tauglichkeit der Vergleichsmethode. Zudem müssten die Vergleichsobjekte spezifisch zu Freihaltezone Typ C gehören, dürften nicht unter ausserordentlichen Umständen verkauft worden sein und müssten hinsichtlich Grösse und Lage vergleichbar sein. Aus all diesen Gründen sei die Vergleichsmethode untauglich und die Ertragswertmethode anzuwenden.
  5. Würdigung durch das Bundesgericht (E. 4):
    • Kernkritik: Das Bundesgericht hält fest, dass das Verwaltungsgericht die Anordnungen des Rückweisungsentscheids vom 3. Oktober 2018 ignoriert habe. Es habe auf der weniger zuverlässigen Ertragswertmethode beharrt, weil es aufgrund der geringen Zahl von bekannten Verkäufen und vermuteter Schwierigkeiten bei der Vergleichbarkeit die Vergleichsmethode als untauglich erachtete (E. 4.1).
    • Fehlende Abklärungen: Das Bundesgericht weist darauf hin, dass es im ersten Entscheid gerade nicht von vornherein ausgeschlossen habe, dass vergleichbare Verkäufe existieren. Es habe die Vergleichsmethode als prioritär bezeichnet und festgehalten, dass eine andere Methode nur dann zulässig sei, wenn tatsächlich keine tauglichen Vergleichspreise ermittelt werden könnten (E. 4.1).
    • Spekulation statt Tatsachen: Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, die Vergleichsmethode sei untauglich, beruhe auf blossen Spekulationen ohne tatsächliche Grundlage, da die gebotenen Abklärungen (insbesondere Einholung der Grundbuchdaten) unterblieben seien (E. 4.2). Die 25 bekannten Verkäufe allein in zwei Bezirken sowie die Möglichkeit weiterer Verkäufe in den anderen angefragten Bezirken zeigten, dass die potenzielle Vergleichsbasis durchaus vorhanden sein könnte.
    • Anforderungen an Vergleichsmethode: Das Bundesgericht bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, wonach bereits eine kleinere Anzahl von Vergleichsobjekten genügen kann, um auf das Preisniveau zu schliessen ("schon vereinzelte Vergleichspreise genügen"). Es dürften keine zu hohen Anforderungen an die Zahl und effektive Gleichheit der Objekte gestellt werden; Unterschiede könnten durch Zu- oder Abschläge berücksichtigt werden. Vergleichsobjekte müssten auch nicht in derselben Gemeinde liegen, solange sie ähnlich sind (Verweis auf BGE 122 I 168, 114 Ib 286, 1C_42/2023) (E. 4.2).
    • Stützung durch Lehre und Rechtsprechung: Diese Sichtweise werde auch vom Bundesverwaltungsgericht und der Lehre weitestgehend geteilt. Insbesondere für unüberbaute Grundstücke eigne sich die Vergleichsmethode besonders gut; teilweise werde gar von einem absoluten Vorrang gesprochen (Verweis auf div. Fachliteratur wie Patallo, Hänni, Kessler Coendet, Dubey/Zufferay, Hess/Weibel, Ludwig/Stalder) (E. 4.3).
    • Verfahrensmangel: Das Verwaltungsgericht hätte demnach nicht auf die weniger zuverlässige Ertragswertmethode zurückgreifen dürfen, ohne überhaupt zu versuchen, Vergleichspreise zu erheben. Es hätte darauf bestehen müssen, die notwendigen Informationen (Grundbuchdaten) zu erhalten (E. 4.4).
    • Erneute Rückweisung: Da die notwendigen sachverhaltlichen Abklärungen zur Ermittlung eines allfälligen Schadens mittels der prioritären Vergleichsmethode unterblieben sind, muss die Sache erneut an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen werden, damit es diese Abklärungen vornimmt. Angesichts der bereits überlangen Verfahrensdauer seien diese ohne Verzug an die Hand zu nehmen (E. 4.4).

Entscheidung über Kosten:

Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens werden der unterlegenen Beschwerdegegnerin (Stadt Bülach) auferlegt (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Diese hat der Beschwerdeführerin zudem eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Materielle Enteignungen gelten als vermögensrechtliche Streitigkeiten (Art. 65 Abs. 3 lit. b BGG).

Dispositiv:

Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2024 wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird zur Neubeurteilung in der Sache an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Gerichtskosten und Parteientschädigung werden der Stadt Bülach auferlegt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des Grundeigentümers gut und hob das Urteil des Verwaltungsgerichts auf. Kern der Entscheidung ist, dass die kantonalen Instanzen den Vorgaben des ersten Bundesgerichtsentscheids (1C_473/2017) zur Schadensschätzung bei materieller Enteignung nicht nachgekommen sind. Das Bundesgericht hatte klargestellt, dass die Umzonung von einer potenziell intensiv nutzbaren Freihaltezone (Sport/Freibad) in eine extensiv nutzbare Erholungszone (Familiengärten) eine wesentliche Eigentümerbefugnis entzog. Zur Schätzung des Verkehrswerts und damit eines allfälligen Schadens müsse bei unüberbauten Grundstücken primär die Vergleichsmethode angewendet werden. Die Vorinstanz weigerte sich jedoch, diese Methode anzuwenden, gestützt auf ungenügende Abklärungen zu tatsächlich verfügbaren Vergleichspreisen. Das Bundesgericht bekräftigt, dass bereits wenige Vergleichspreise genügen und die Vergleichsmethode Vorrang hat. Die kantonalen Instanzen haben es unterlassen, die notwendigen Daten (Grundbuchdaten zu Handänderungen) konsequent zu beschaffen, und haben stattdessen spekulativ die Vergleichsmethode als untauglich abgetan. Das Verfahren wird erneut an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen, damit dieses die notwendigen sachverhaltlichen Abklärungen zur Anwendung der Vergleichsmethode vornimmt.