Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_1044/2023 vom 29. April 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des schweizerischen Bundesgerichts (7B_1044/2023 vom 29. April 2025):

1. Ausgangslage und Verfahrensgeschichte

Das Urteil betrifft die strafrechtliche Verurteilung von A._ wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG). Die strafrechtliche Untersuchung gegen A._ entsprang Erkenntnissen, die im Rahmen von Überwachungsmassnahmen (Telefonüberwachung) gegen einen mutmasslichen Kokainhändler, B._, gewonnen wurden (Aktion "DABAR"). Die Abhörungen liessen den Schluss zu, dass B._ mit einer Person namens "C._", später als A._ identifiziert, Kokainhandel betrieb. Eine polizeiliche Kontrolle von A.__ am 22. November 2018 bestätigte diese Annahme, indem 9.9 Gramm Kokain bei ihm sichergestellt wurden. Dieser einzelne Fund wurde separat mit Strafbefehl abgeurteilt.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft basierte jedoch primär auf den abgehörten Telefongesprächen und warf A._ vor, zwischen Juni und November 2018 in 42 Fällen Kokain sehr guter Qualität von B._ erworben zu haben, nicht für den Eigenkonsum, sondern zum gewinnbringenden Weiterverkauf. Dies qualifizierte die Staatsanwaltschaft als qualifizierte Widerhandlung gegen das BetmG.

Während das Bezirksgericht Bülach A._ am 12. April 2022 vollumfänglich freisprach, sprach das Obergericht des Kantons Zürich ihn am 14. April 2023 auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten. Gegen dieses Urteil erhob A._ Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht.

2. Wesentliche Rügen des Beschwerdeführers und die Beurteilung durch das Bundesgericht

Der Beschwerdeführer erhob im Wesentlichen drei Hauptkritikpunkte gegen das vorinstanzliche Urteil:

2.1. Verwertbarkeit des Zufallsfunds (E. 2)

  • Rüge: Der Beschwerdeführer machte geltend, die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung gegen B.__, die zu seiner Identifizierung und der Einleitung der Untersuchung gegen ihn führten, seien ein Zufallsfund gemäss Art. 278 StPO. Die erforderliche Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht sei erst rund anderthalb Jahre nach Eröffnung des Strafverfahrens gegen ihn eingeholt worden. Die Auswertung und Verwendung der Abhörergebnisse vor dieser Genehmigung seien unzulässig gewesen, was zur Unverwertbarkeit der Beweise gemäss Art. 141 Abs. 1 StPO führe. Er sah darin eine Verletzung von Art. 277 Abs. 2 und Art. 278 Abs. 3 StPO.
  • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bestätigte, dass es sich bei den Erkenntnissen um einen Zufallsfund im Sinne von Art. 278 Abs. 2 StPO handelt. Es stellte fest, dass Art. 278 Abs. 3 StPO vorschreibt, dass die Staatsanwaltschaft bei einem Zufallsfund unverzüglich die Überwachung (der betroffenen Person) anordnen und das Genehmigungsverfahren einleiten muss. Das Bundesgericht erwog, dass diese Vorschrift (Art. 278 Abs. 3 StPO) als Ordnungsvorschrift zu verstehen ist. Eine Verletzung dieser Vorschrift, insbesondere eine Verspätung bei der Einleitung des Genehmigungsverfahrens, führt nicht automatisch zur Unverwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse (unter Verweis auf Urteil 1B_59/2014 vom 28. Juli 2014 E. 4.8 betreffend Art. 274 Abs. 1 StPO). Entscheidend sei, ob der Zufallsfund vor seiner Genehmigung verwendet wurde. Im vorliegenden Fall sei der Beschwerdeführer erst nach der Genehmigung des Zufallsfunds durch das Zwangsmassnahmengericht am 21. Juni 2021 mit den Ergebnissen der Abhörung konfrontiert worden (erste polizeiliche Einvernahme am 12. August 2021). Bis dahin seien keine weiteren Ermittlungshandlungen gestützt auf den Zufallsfund vorgenommen worden, die den Beschwerdeführer beeinträchtigt hätten. Somit sei ihm kein Nachteil entstanden.
  • Rechtlicher Kontext/Querverweis: Das Bundesgericht hob zudem hervor, dass Genehmigungsentscheide betreffend Zufallsfunde grundsätzlich mit StPO-Beschwerde (Art. 279 Abs. 3 i.V.m. Art. 393 ff. StPO) anzufechten sind und nach deren Rechtskraft nicht mehr im sachgerichtlichen Verfahren überprüft werden können (unter Verweis auf BGE 140 IV 40 E. 1.1 und Urteile 6B_1362/2020 E. 8.2, 1B_425/2010 E. 1.3). Obwohl die Vorinstanz den Einwand des Beschwerdeführers materiell prüfte (was gemäss BGer eigentlich nicht mehr zulässig gewesen wäre), kam sie zum korrekten Ergebnis, dass keine Unverwertbarkeit vorliegt. Das Bundesgericht bekräftigte seine ständige Rechtsprechung, wonach die verspätete Einholung der Genehmigung für einen Zufallsfund nicht zur Unverwertbarkeit führt, solange die Erkenntnisse nicht vor der Genehmigung verwendet wurden (vgl. neuere Urteile wie 7B_91/2024 vom 16. Oktober 2024 E. 5.2.1 f.; 1B_92/2019 vom 2. Mai 2019 E. 2.4; 1B_274/2015 vom 10. November 2015 E. 3.2).

2.2. Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (E. 3)

  • Rüge: Der Beschwerdeführer beanstandete die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung als willkürlich (Art. 9 BV) und als Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Er argumentierte, die vorliegenden Indizien (abgehörte Telefonate) reichten nicht aus, um mit rechtsgenügender Sicherheit festzustellen, dass er sich tatsächlich mit B.__ getroffen, Kokain übergeben wurde, bestimmte Mengen gehandelt wurden, wie viel er für Eigenkonsum benötigte und dass ein Weiterverkauf beabsichtigt war.
  • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht prüfte die Rügen im Rahmen des Willkürverbots (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 BGG). Es erinnerte an den Standard für die Prüfung von Sachverhaltsfeststellungen: offensichtlich unrichtig (willkürlich) oder beruhend auf einer Rechtsverletzung. Bei der Beweiswürdigung liegt Willkür nur vor, wenn sie schlechterdings unhaltbar ist, nicht schon, wenn eine andere Würdigung vertretbar wäre. Der Grundsatz "in dubio pro reo" hat im bundesgerichtlichen Verfahren keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung (BGE 148 IV 409 E. 2.2).
  • Beweiswürdigung der Vorinstanz: Das Bundesgericht stellte dar, wie die Vorinstanz zur Überzeugung gelangte:
    • Detaillierte Analyse der abgehörten Telefonate, die eine auffällig verklausulierte Sprache zeigten (z.B. "so wie gestern", "Karten halbe-halbe", "Fünf-fünf").
    • Schlussfolgerung der Vorinstanz: Diese Sprache diente einzig der Verschleierung von Drogengeschäften, und die Gesprächspartner rechneten mit Abhörung.
    • Verweis auf den Kokainfund vom 22. November 2018 (9.9g Kokain) als starke Bestätigung für die Natur der Geschäfte.
    • Weitere Indizien: kurzfristige Treffen, Warnung vor Razzia.
    • Identifizierung der gehandelten Substanz als Kokain basierend auf dem Fund und den Gesprächsinhalten ("gute Ware").
    • Bestimmung der Mengen (regelmässig 10g) ebenfalls aus den Gesprächen ("Zahl 10", "wie das letzte Mal"). Die Vorinstanz ermittelte die Menge für jeden der 42 Vorwürfe einzeln und gelangte zu einer Gesamtmenge von 250g Kokaingemisch (175g rein) für 25 erwiesene Käufe.
    • Feststellung der Weiterverkaufsabsicht basierend auf Hinweisen auf Schulden des Beschwerdeführers, konkreten Hinweisen auf Weiterverkauf in den Gesprächen, und insbesondere der Finanzierbarkeit der Gesamtmenge von 250g Kokain für ca. Fr. 12'500.-- bei den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers.
  • Beurteilung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht befand die Beweiswürdigung der Vorinstanz als überzeugend und nicht willkürlich. Die detaillierte Analyse der Telefonate, insbesondere die Interpretation der verklausulierten Sprache im Kontext des Kokainfunds, sei plausibel. Auch die Ableitung der Mengen und die Feststellung des Weiterverkaufszwecks (basierend auf Gesprächen, finanziellen Verhältnissen und der grossen Gesamtmenge, die den Eigenkonsum erheblich übersteigt) seien Willkür-frei. Der Beschwerdeführer beschränke sich auf appellatorische Kritik oder gehe von einem unzutreffenden Sachverhalt aus.

2.3. Rechtliche Würdigung als qualifizierte Widerhandlung und Mengenaggregation (E. 4)

  • Rüge: Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die Qualifikation seines Verhaltens als schwerer Fall gemäss Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG.
    • Formell: Er rügte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 344 StPO, Art. 29 Abs. 2 BV), da die Anklage primär auf Veräussern (lit. c) gelautet habe, die Verurteilung aber auch den Erwerb (lit. d) umfasse, ohne dass er sich zu dieser abweichenden rechtlichen Würdigung habe äussern können.
    • Materiell: Er machte geltend, die einzelnen Mengen (rund 10g Kokain pro Kauf) seien für sich genommen Kleinstmengen, die nicht geeignet seien, viele Menschen zu gefährden. Diese Mengen dürften nicht zusammengerechnet (aggregiert) werden, um die Schwelle zum schweren Fall zu erreichen, da keine Handlungseinheit vorliege und die Taten unregelmässig erfolgt seien.
  • Begründung des Bundesgerichts:
    • Formell: Das Bundesgericht wies die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs zurück. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer sich sowohl im Vorverfahren als auch in den Plädoyers vor den kantonalen Instanzen explizit zur Möglichkeit einer Verurteilung wegen Art. 19 Abs. 1 lit. d BetmG (Erwerb) geäussert habe.
    • Materiell: Das Bundesgericht legte Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG aus. Ein schwerer Fall liegt vor, wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass die Widerhandlung die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Objektiv ist eine Gefährdung von mindestens 20 Personen erforderlich. Die Rechtsprechung konkretisiert dies mengenmässig: Ab 18 Gramm reinem Kokain ist die Schwelle zum schweren Fall überschritten (BGE 145 IV 312 E. 2.1.1-2.1.3; 150 IV 213 E. 1.4). Das Bundesgericht bekräftigte sodann seine gefestigte Rechtsprechung (unter Verweis auf das eingehende Urteil 6B_17/2022 vom 18. März 2024): Für das Vorliegen eines mengenmässig schweren Falls gemäss Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG sind die Mengen aus mehreren, rechtlich selbständigen Widerhandlungen zusammenzurechnen (zu aggregieren), auch wenn es sich nicht um eine natürliche Handlungseinheit handelt. Es ist unerheblich, ob die qualifizierte Menge durch eine einzelne Tat oder durch die Gesamtbetrachtung mehrerer Taten erreicht wird. Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz festgestellt, dass der Beschwerdeführer insgesamt 175 Gramm reines Kokain erworben hat. Diese Menge überschreitet die Schwelle von 18 Gramm reinem Kokain um ein Mehrfaches. Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz angesichts dieser aggregierten Menge die Voraussetzungen des schweren Falls gemäss Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG ohne weiteres als erfüllt betrachten durfte. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe die Drogen teilweise für Eigenkonsum erworben, wurde zurückgewiesen, da sie im Widerspruch zur verbindlichen Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz stand.

3. Ergebnis und weitere Punkte

Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen, soweit darauf einzutreten war. Der Beschwerdeführer wurde kostenpflichtig. Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde wegen Aussichtslosigkeit der Begehren abgewiesen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Die Verurteilung wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz wurde vom Bundesgericht bestätigt.
  • Erkenntnisse aus einem Zufallsfund bei einer Telefonüberwachung sind verwertbar, auch wenn die gerichtliche Genehmigung erst nach der Einleitung des Verfahrens gegen die betroffene Person eingeholt wurde, sofern die Beweise nicht vor der Genehmigung verwendet und die beschuldigte Person erst danach damit konfrontiert wurde. Die Pflicht zur "unverzüglichen" Einleitung des Genehmigungsverfahrens ist eine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung allein nicht zur Unverwertbarkeit führt.
  • Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung (Erwerb von Kokain in bestimmten Mengen, Weiterverkaufsabsicht) basierend auf Indizien wie codierten Telefongesprächen, dem Kokainfund und der finanziellen Situation des Beschwerdeführers, war nicht willkürlich.
  • Für die Beurteilung, ob ein mengenmässig schwerer Fall einer Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz vorliegt (Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG), sind die Mengen aus rechtlich selbständigen Einzeldelikten zusammenzurechnen (Aggregation). Die Schwelle von 18 Gramm reinem Kokain wurde im vorliegenden Fall durch die aggregierte Menge erreicht und deutlich überschritten.
  • Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, sich zur rechtlichen Qualifikation unter Art. 19 Abs. 1 lit. d BetmG zu äussern.