Zusammenfassung von BGer-Urteil 9C_465/2023 vom 28. April 2025

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Gerne, hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des schweizerischen Bundesgerichts 9C_465/2023 vom 28. April 2025:

Urteil des Bundesgerichts 9C_465/2023 vom 28. April 2025

Gegenstand: Anfechtung der Zulassungsverordnung und deren Anhang des Regierungsrats des Kantons Zug über die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten im ambulanten Bereich zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP).

Verfahrensbeteiligte: * Beschwerdeführende: Eine AG, die eine dermatologische Klinik betreibt (A._ AG), eine Holdinggesellschaft derselben (B._ AG), und ein Facharzt für Dermatologie, der in Zug eine Tätigkeit aufnehmen möchte (C.__). * Beschwerdegegner: Regierungsrat des Kantons Zug.

Einleitung: Das Urteil betrifft eine Beschwerde gegen eine kantonale Verordnung und deren Anhang, die im Rahmen der Umsetzung der bundesrechtlichen Zulassungsbeschränkung für Leistungserbringer im ambulanten Bereich (Art. 55a KVG) erlassen wurden. Die Beschwerdeführenden, eine Klinik und ein Arzt im Bereich Dermatologie und Venerologie, fechten die Regelung an, da sie ihre Möglichkeiten zur Aufnahme oder Weiterführung einer Tätigkeit im Kanton Zug zulasten der OKP einschränkt.

Rechtlicher Hintergrund (Bund): Das Bundesrecht (Art. 55a KVG in der Fassung seit 1. Juli 2021) ermächtigt die Kantone, die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte, die ambulante Leistungen zulasten der OKP erbringen, in bestimmten Fachbereichen oder Regionen zu begrenzen. Der Bundesrat wurde beauftragt, die Kriterien und methodischen Grundsätze für die Festlegung dieser Höchstzahlen zu bestimmen (Art. 55a Abs. 2 KVG). Gestützt darauf erliess der Bundesrat die Verordnung über die Festlegung der Höchstzahlen für Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich (HZV, SR 832.107). Die HZV sieht vor, dass die Kantone die Höchstzahlen auf Basis einer Berechnung des Ärzteangebots und des Bedarfsdeckungsgrads pro Region festlegen müssen (Art. 5 Abs. 1 HZV). Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) legt dazu in einer eigenen Verordnung (EDI-Verordnung, SR 832.107.1) die regionalen Versorgungsgrade fest, basierend auf einem gesamtschweizerischen Regressionsmodell (Art. 3 HZV). Das neue System wurde gestaffelt eingeführt: bis 30. Juni 2023 konnten Kantone altes Recht anwenden, bis 30. Juni 2025 können sie nach Art. 9 HZV Übergangsregelungen nutzen (Angebot = Höchstzahl), und ab 1. Juli 2025 muss die Methode gemäss HZV und EDI-Verordnung vollumfänglich angewendet werden.

Kantonale Regelung: Der Regierungsrat des Kantons Zug erliess die Zulassungsverordnung und deren Anhang gestützt auf Art. 36 und 55a KVG, Art. 5 HZV sowie kantonale Bestimmungen (§ 3 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 EG KVG/ZG, § 24 GesG/ZG). Die Verordnung legt Höchstzahlen (in Vollzeitäquivalenten, VZÄ) pro Fachgebiet kantonsweit fest (§ 1 Abs. 1-3 Zulassungsverordnung). Sie gilt für Ärzte in eigener Praxis (Zulassung) sowie für Ärzte im ambulanten Bereich eines Spitals oder einer Einrichtung (Berechtigung). Der Anhang listet die Höchstzahlen für verschiedene Fachgebiete auf, darunter auch Dermatologie und Venerologie (8.5 VZÄ). § 1 Abs. 4 enthält eine Ausnahmeregelung für den spitalambulanten Bereich bei Gefährdung von Leistungsauftrag oder Weiterbildung. § 2 regelt das Verfahren, einschliesslich Stichdaten für Gesuche und Kriterien zur Priorisierung bei übererschrittener Höchstzahl (Punkte für Haupttätigkeit in Zug, Schwerpunkt, Deutschkenntnisse C2, Praxisübernahme, Spitaltätigkeit).

Zulässigkeit der Beschwerde (Eintreten): Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der Beschwerde als abstrakte Normenkontrolle. Da die Verordnung auf kantonaler Ebene nicht angefochten werden kann, ist der direkte Weg ans Bundesgericht offen (E. 2.1). Die Beschwerdeführenden haben als betroffene Leistungserbringer (Klinik, die Ärzte anstellen möchte; Arzt, der sich niederlassen möchte) ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung der einschränkenden Regelung (E. 3.3). Die Beschwerde ist fristgerecht erfolgt (E. 2.2). Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde ein.

Materielle Prüfung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht prüft kantonale Erlasse im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nach freiem Ermessen auf Grundrechtskonformität, jedoch mit Zurückhaltung gegenüber kantonalen Behörden und dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Eine kantonale Norm wird nur aufgehoben, wenn sie sich nicht gesetzeskonform interpretieren lässt (E. 4).

1. Verletzung des Legalitätsprinzips und der Gewaltenteilung (E. 5, 6, 7): * Argument der Beschwerdeführenden: Die Regelung der Zulassungsbeschränkung ist so wichtig, dass sie in einem Gesetz im formellen Sinn hätte erfolgen müssen (§ 41 Abs. 1 lit. b KV/ZG). Eine blosse Verordnung des Regierungsrats reiche nicht aus. Eventualiter sei die Delegation der Gesetzgebungskompetenz an den Regierungsrat unzulässig. Sie verweisen auf ein Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft. * Argument des Regierungsrats: Die Kompetenz zur Gesetzgebung im Bereich der Krankenversicherung liegt umfassend beim Bund (Art. 117 Abs. 1 BV), der mit Art. 55a KVG umfassende Grundlagen geschaffen hat. Den Kantonen verbleibt nur die Umsetzung nach den bundesrechtlichen Kriterien und Grundsätzen. Die Umsetzung erfolgt auf kantonaler Ebene als unselbstständiges Vollzugsrecht. * Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, wonach Art. 55a KVG eine unmittelbar anwendbare bundesrechtliche Regelung ist, die den Grundsatz und die wesentlichen Elemente der Bedürfnisklausel enthält. Sie bedarf auf kantonaler Ebene lediglich der Konkretisierung durch Ausführungsbestimmungen (Vollzugsverordnung). Solche Verordnungen dürfen das Bundesgesetz nicht abändern oder aufheben, sondern müssen dessen Ziel folgen und die Regelung aus- und weiterführen. Es bedarf keiner zusätzlichen formellen kantonalen Gesetzesgrundlage für die inhaltliche Umsetzung von Art. 55a KVG (E. 7.2.1, 7.2.2). Das anderslautende Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vermag daran nichts zu ändern. * Kompetenz des Regierungsrats: Die regierungsrätliche Kompetenz zum Erlass von Vollzugsverordnungen bedarf einer Grundlage im kantonalen formellen Gesetz. Die angefochtene Verordnung stützt sich auf § 3 Abs. 1 lit. d EG KVG/ZG und § 24 GesG/ZG. § 3 Abs. 1 lit. d EG KVG/ZG ermächtigt den Regierungsrat ausdrücklich für "Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung" im KVG-Bereich, was Art. 55a KVG einschliesst, auch wenn die Klammerbemerkung nur Art. 54 und 55 KVG nennt (dies sei der späteren Schaffung von Art. 55a KVG geschuldet). Die Ermächtigung des Regierungsrats auf kantonaler Gesetzesstufe ist somit gegeben (E. 7.3). * Schlussfolgerung: Die Rüge der Verletzung des Legalitätsprinzips und der Gewaltenteilung wird abgewiesen.

2. Verletzung der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) (E. 8): * Argument der Beschwerdeführenden: Die Zulassungsbeschränkung schränkt die freie Berufswahl und -ausübung ein. * Beurteilung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht erinnert an seine ständige Rechtsprechung, wonach die Zulassungsbeschränkung gemäss Art. 55a KVG ein zulässiges sozialpolitisches Ziel verfolgt (Dämpfung des Kostenanstiegs). Ärzte können aus der Wirtschaftsfreiheit kein Recht ableiten, unbegrenzt zulasten der OKP tätig zu sein (BGE 141 V 557 E. 7.1, 140 V 574 E. 5.2.2). Diese Rechtsprechung gilt auch unter dem neuen Art. 55a KVG (E. 8.2). Eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit ist entweder nicht erkennbar oder bereits im Bundesgesetz angelegt, welches das Bundesgericht anwenden muss (Art. 190 BV). * Schlussfolgerung: Die Rüge der Verletzung der Wirtschaftsfreiheit wird abgewiesen.

3. Verletzung der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV) und des Willkürverbots (Art. 9 BV) (E. 9, 10): * Argument der Beschwerdeführenden: * Die Ausnahmeregelung für den spitalambulanten Bereich (§ 1 Abs. 4 Zulassungsverordnung) verstösst gegen die Rechtsgleichheit, da Art. 55a KVG alle ambulant Tätigen gleich behandle. Es fehle an einem vernünftigen Grund. * Die Kriterien zur Priorisierung (§ 2 Abs. 2 Zulassungsverordnung), insbesondere lit. e (Spitaltätigkeit), führen ebenfalls zu unzulässiger Ungleichbehandlung. * Die unterschiedliche Abrechnungspraxis zwischen Spitälern und Praxen führe zu einer faktischen Ungleichbehandlung, da Spitäler ihre VZÄ deklarieren könnten, was das Kontingent für Praxen blockiere. * Die Festlegung der Höchstzahlen sei willkürlich, da sie sich auf die Versorgungsgrade der EDI-Verordnung stütze, welche nicht aussagekräftig seien und angeblich eine Unterversorgung im Kanton Zug und Nachbarkantonen zeigten. * Die Koordinationspflicht gemäss Art. 55a Abs. 3 KVG sei verletzt worden. * Beurteilung des Bundesgerichts (Rechtsgleichheit): * Ausnahme Spitalbereich (§ 1 Abs. 4): Das Bundesgericht anerkennt, dass Art. 55a KVG grundsätzlich auf Gleichbehandlung zielt (E. 9.3.1). Art. 55a KVG schliesst aber eine Ausnahmeregelung auf Verordnungsstufe nicht aus, sofern sie der Gesetzeszielsetzung folgt (E. 9.3.2). Die Ausnahme ist eng umschrieben ("kann"-Vorschrift, nur bei Gefährdung von Leistungsauftrag/Weiterbildung) und dient vernünftigen Gründen, nämlich der besonderen Bedeutung von Spitälern für die Versorgungssicherheit und ärztliche Weiterbildung (E. 9.3.2, 9.3.3). Die unterschiedlichen Bedürfnisse spiegeln sich auch im KVG selbst wider. Die Ausnahme ist mit der Rechtsgleichheit vereinbar (E. 9.6). * Priorisierungskriterien (§ 2 Abs. 2): Diese Kriterien kommen erst zur Anwendung, wenn die Höchstzahl unterschritten ist und mehrere qualifizierte Personen die Zulassung beantragen. Die Kriterien (z.B. Haupttätigkeit in Zug, Expertise, Sprache, Praxisübernahme, Spitaltätigkeit im Sinne von "ambulant vor stationär") sind objektiv und dienen dem öffentlichen Interesse an einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung. Die Beschwerdeführenden legen nicht rechtsgenüglich dar, inwiefern diese Kriterien oder deren Anwendung bundesrechtswidrig oder willkürlich sein sollen (E. 9.4). * Abrechnungspraxis/VZÄ Erfassung: Die Erfassung der VZÄ im spitalambulanten Bereich ist bundesrechtlich vorgegeben (Art. 2 HZV). Probleme bei der Erfassung betreffen die Meldepflichten, nicht die Rechtmässigkeit der kantonalen Verordnung. Reliable Erfassung ist möglich (z.B. via GLN, Abrechnungsvolumen). Das Risiko fehlerhafter Angaben besteht im Spital- wie im Praxisbereich (E. 9.5). Dieser Einwand zielt ins Leere. * Schlussfolgerung Rechtsgleichheit: Die in der Verordnung getroffenen Unterscheidungen verletzen das Rechtsgleichheitsgebot nicht.

  • Beurteilung des Bundesgerichts (Willkür/EDI-Zahlen/Koordination):
    • EDI-Zahlen: Das Bundesgericht erläutert die Methodik des EDI/Obsan zur Berechnung der Versorgungsgrade (Regressionsmodell basierend auf Einflussfaktoren wie Alter, Morbidität, Patientenströme). Ein Versorgungsgrad über 100 % bedeutet, dass das beobachtete Leistungsvolumen höher ist als das erwartete. Die Beschwerdeführenden verwechseln dies offenbar mit der blossen Arztdichte (E. 10.1.1, 10.1.2). Die Rüge zielt im Kern gegen Bundesrecht, nicht gegen die kantonale Verordnung (E. 10.1.2). Der Kanton Zug hat sich entschieden, die ab Juli 2025 ohnehin bundesrechtlich vorgeschriebene Methode bereits ab Juli 2023 anzuwenden, was nicht willkürlich ist (E. 10.1.3). Die behauptete Unterversorgung im Bereich Dermatologie im Kanton Zug wird durch die Zahlen der EDI-Verordnung (zukünftig) und des Obsan widerlegt, die einen sehr hohen Versorgungsgrad zeigen (E. 10.1.4).
    • Koordinationspflicht: Der Regierungsrat hat gemäss dem Protokoll zum Erlass der Verordnung die Nachbarkantone sowie weitere Kantone zur Vernehmlassung eingeladen und sich mit ihnen ausgetauscht. Damit wurde die interkantonale Koordination gemäss Art. 55a Abs. 3 KVG und Art. 7 HZV beachtet (E. 10.2.2). Die Behauptung des Gegenteils in der Beschwerde ist unbegründet.
    • Schlussfolgerung Willkür: Die Rügen der Willkür in Bezug auf die Anwendung der EDI-Zahlen und die angebliche Verletzung der Koordinationspflicht werden abgewiesen.

Gesamtschlussfolgerung: Das Bundesgericht findet, dass der Regierungsrat des Kantons Zug gewichtige, teilweise aus dem Bundesrecht abgeleitete Gründe hatte, die Zulassung im ambulanten Bereich zu beschränken. Die Regelung erfolgt nach sachlichen Kriterien (Berücksichtigung der Versorgungssituation, interkantonale Koordination). Die geltend gemachten Verstösse gegen das Legalitätsprinzip, die Gewaltenteilung, die Wirtschaftsfreiheit, die Rechtsgleichheit und das Willkürverbot liegen nicht vor.

Entscheid: Die Beschwerde wird abgewiesen. Die Gerichtskosten werden den Beschwerdeführenden auferlegt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: Das Bundesgericht weist die Beschwerde gegen die Zuger Zulassungsverordnung für ambulant tätige Ärzte ab. Es bekräftigt, dass Art. 55a KVG direkt anwendbares Bundesrecht ist, das auf kantonaler Ebene nur per Verordnung umgesetzt werden muss, sofern eine gesetzliche Ermächtigung für die Regierung im kantonalen Recht besteht. Diese Ermächtigung wurde im Kanton Zug bejaht. Die Beschränkung der Zulassung zulasten der OKP wird als zulässige Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit im Dienste des Kostenwachstums im Gesundheitswesen angesehen. Die Rügen der Ungleichbehandlung zwischen spitalambulanten und praxisambulanten Ärzten sowie der Willkür bei der Festlegung der Höchstzahlen wurden zurückgewiesen. Die Ausnahmeregelung für Spitäler und die Priorisierungskriterien wurden als sachlich begründet und gesetzeskonform erachtet. Die Methode zur Ermittlung der Versorgungsgrade basiere auf bundesrechtlich vorgegebenen Kriterien, und die interkantonale Koordination sei erfolgt.