Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_553/2024 vom 7. Mai 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Urteils des schweizerischen Bundesgerichts 2C_553/2024 vom 7. Mai 2025:

Bundesgerichtsurteil 2C_553/2024 vom 7. Mai 2025

Gericht: Bundesgericht, II. öffentlich-rechtliche Abteilung Parteien: Association A. (Beschwerdeführerin) gegen Office cantonal de l'inspection et des relations du travail du canton de Genève (Genfer kantonales Amt für Arbeitsinspektion und Arbeitsbeziehungen) Gegenstand: Déni de justice (formelle Rechtsverweigerung) Angefochtener Entscheid: Urteil des Kantonsgerichts Genf (Cour de justice, Chambre administrative) vom 1. Oktober 2024

I. Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin, die Association A., eine gemeinnützige Organisation in Genf, wurde von der Genfer Arbeitsinspektion (Office cantonal) mit Verfügung vom 8. Juli 2024 sanktioniert. Dem Verein wurde im Wesentlichen vorgeworfen, den kantonalen Mindestlohn nicht eingehalten zu haben. Die Sanktionen umfassten die Verweigerung einer Attestierung für zwei Jahre, eine Verwaltungssanktion von CHF 5'600 und den Ausschluss von zukünftigen öffentlichen Aufträgen für zwei Jahre.

Gegen diese Verfügung erhob die Association A. am 22. Juli 2024 einen ersten Rekurs beim Kantonsgericht Genf (Cour de justice). Das Kantonsgericht forderte am gleichen Tag per Prioritätssendung einen Kostenvorschuss von CHF 800 bis zum 6. August 2024 unter Androhung der Unzulässigkeit des Rekurses. Da der Kostenvorschuss nicht fristgerecht bezahlt wurde, erklärte das Kantonsgericht den ersten Rekurs am 19. August 2024 als unzulässig.

Anschliessend reichte die Association A. am 9. September 2024 – innerhalb der gesetzlichen Rekursfrist gegen die ursprüngliche Verfügung vom 8. Juli 2024 (unter Berücksichtigung der Gerichtsferien) – einen zweiten Rekurs gegen die gleiche Verfügung beim Kantonsgericht ein. Vom Kantonsgericht befragt, verneinte die Association A., dass es sich um ein Revisionsgesuch gegen den Unzulässigkeitsentscheid handle. Sie machte geltend, das Kantonsgericht habe im ersten Verfahren nie in der Sache (fond) entschieden, die Verfügung vom 8. Juli 2024 sei nicht in Rechtskraft erwachsen, und solange die Rekursfrist laufe, könne ein neuer Rekurs eingereicht werden.

Mit Urteil vom 1. Oktober 2024 erklärte das Kantonsgericht auch den zweiten Rekurs vom 9. September 2024 als unzulässig. Es begründete dies im Wesentlichen damit, dass der erste Unzulässigkeitsentscheid vom 19. August 2024 ein Endentscheid gewesen sei, der die Rechtshängigkeit beendet und die Streitsache «bereinigt» habe, ungeachtet dessen, dass der zweite Rekurs innerhalb der ursprünglichen Rekursfrist eingereicht worden war.

Gegen dieses Urteil des Kantonsgerichts vom 1. Oktober 2024 erhob die Association A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht.

II. Rechtliche Erwägungen und Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte in erster Linie die Frage, ob das Kantonsgericht mit der Erklärung des zweiten Rekurses als unzulässig eine formelle Rechtsverweigerung (déni de justice) im Sinne von Art. 29 Abs. 1 der Bundesverfassung (BV) begangen hat.

  1. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts: Das Bundesgericht prüft die Einhaltung des Bundesrechts, einschliesslich der Verfassungsrechte, frei (Art. 95 Bst. a und 106 Abs. 1 des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Die Anwendung kantonalen Rechts prüft es nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV) oder der Verletzung anderer spezifischer Bundesrechte (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Frage der formellen Rechtsverweigerung als solche wird vom Bundesgericht frei überprüft.

  2. Formelle Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV): Eine formelle Rechtsverweigerung liegt vor, wenn eine Behörde eine Verfahrensvorschrift nicht oder falsch anwendet und dadurch einer Person den Zugang zur Justiz versperrt, der ihr normalerweise zustehen würde. Ein Sonderfall der formellen Rechtsverweigerung ist der übermässige Formalismus, bei dem die strikte Anwendung von Verfahrensregeln keinen schutzwürdigen Zweck verfolgt, zum Selbstzweck wird oder den Zugang zu den Gerichten unzumutbar erschwert. Das Verbot der Rechtsverweigerung hindert Behörden nicht daran, Eingaben oder Rechtsmittel als unzulässig zu erklären, wenn die Prozessvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

  3. Kantonales Verfahrensrecht und Kostenvorschuss: Im Kanton Genf regelt das Gesetz über das Verwaltungsverfahren (LPA/GE) das Rekursverfahren gegen Verwaltungsentscheide. Die Rekursfrist beträgt grundsätzlich 30 Tage (Art. 62 Abs. 1 Bst. a LPA/GE), unterbrochen durch die Gerichtsferien im Juli/August (Art. 63 LPA/GE). Gemäss Art. 86 Abs. 1 und 3 LPA/GE kann die zuständige Behörde einen Kostenvorschuss verlangen und den Rekurs bei dessen nicht fristgerechter Leistung für unzulässig erklären.

  4. Die Rechtskraft von Unzulässigkeitsentscheiden: Das Bundesgericht stellte klar, dass die Sanktion der Unzulässigkeit eines Rekurses wegen nicht bezahlten Kostenvorschusses für sich genommen keinen übermässigen Formalismus darstellt, sofern die Partei korrekt über die Höhe des Vorschusses, die Frist und die Folgen der Nichtbeachtung informiert wurde. Entscheidend ist jedoch die Rechtskraftwirkung eines solchen Unzulässigkeitsentscheids. Gemäss konstanter Rechtsprechung hat ein Unzulässigkeitsentscheid, der sich ausschliesslich auf das Fehlen einer Prozessvoraussetzung (wie hier der Kostenvorschuss) stützt, keine materielle Rechtskraftwirkung bezüglich des Hauptstreitgegenstands (fond du litige). Seine Rechtskraft beschränkt sich auf die spezifische Prozessvoraussetzung, die zum Entscheid führte.

  5. Möglichkeit eines zweiten Rekurses innert Frist: Aus dem Umstand, dass ein Unzulässigkeitsentscheid wegen eines Verfahrensmangels keine materielle Rechtskraft entfaltet, folgt gemäss Bundesgericht, dass er eine Partei rechtlich nicht daran hindern kann, einen zweiten Rekurs gegen die ursprüngliche Verfügung einzureichen, solange die ordentliche Rekursfrist für diese Verfügung noch läuft und die anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Das Bundesgericht verweist hier auf seine eigene Rechtsprechung (z.B. 2C_431/2022, 4A_149/2024, 4A_30/2020).

  6. Anwendung auf den vorliegenden Fall: Das Bundesgericht stellte fest, dass der erste Unzulässigkeitsentscheid des Kantonsgerichts vom 19. August 2024 einzig auf dem nicht bezahlten Kostenvorschuss beruhte und keine materielle Rechtskraftwirkung bezüglich der Sanktionen der Arbeitsinspektion entfaltete. Die ursprüngliche Verfügung der Arbeitsinspektion vom 8. Juli 2024 war zum Zeitpunkt der Einreichung des zweiten Rekurses am 9. September 2024 (unter Berücksichtigung der Gerichtsferien) unbestrittenermassen noch nicht in Rechtskraft erwachsen, da dieser Rekurs innerhalb der offenen Rekursfrist erfolgte.

  7. Schlussfolgerung zur Rechtsverweigerung: Indem das Kantonsgericht davon ausging, der erste Unzulässigkeitsentscheid vom 19. August 2024 sei ein Endentscheid, der die Rechtshängigkeit beendet und die Streitsache "bereinigt" habe, verkannte es die beschränkte Rechtskraftwirkung eines solchen Entscheids. Es liess ausser Acht, dass die ursprüngliche Verfügung noch nicht rechtskräftig war und somit ein fristgerecht erhobener zweiter Rekurs rechtlich zulässig war. Durch die Weigerung, auf den zweiten Rekurs einzutreten, versperrte das Kantonsgericht der Beschwerdeführerin den Zugang zur materiellen Beurteilung ihrer Beschwerde gegen die Sanktionsverfügung. Dies stellt eine formelle Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV dar.

III. Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut. Es hob das Urteil des Kantonsgerichts vom 1. Oktober 2024 auf und wies die Sache an das Kantonsgericht zurück. Das Kantonsgericht hat nun auf den zweiten Rekurs der Association A. vom 9. September 2024 einzutreten und diesen materiell zu beurteilen, unter Vorbehalt der Prüfung anderer (neben der Frist und der Einreichung nach erstem Unzulässigkeitsentscheid) noch offener Zulässigkeitsvoraussetzungen. Das Verfahren wurde als kostenlos erklärt (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG), und der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin wurde keine Parteientschädigung zugesprochen.

IV. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Ein Entscheid, der einen Rekurs lediglich wegen Nichterfüllung einer formellen Prozessvoraussetzung (hier: Nichtbezahlung eines Kostenvorschusses) als unzulässig erklärt, erlangt keine materielle Rechtskraft bezüglich des Hauptstreitgegenstands.
  • Solange die ordentliche Rekursfrist gegen die zugrundeliegende materielle Verfügung noch nicht abgelaufen ist, kann die Partei nach einem solchen rein formellen Unzulässigkeitsentscheid einen erneuten Rekurs gegen die gleiche ursprüngliche Verfügung einreichen.
  • Die Weigerung einer Behörde, auf einen solchen fristgerecht erhobenen neuen Rekurs einzutreten, stellt eine formelle Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV dar, da sie den Zugang zur materiellen Justiz ungerechtfertigt versperrt.
  • Das Bundesgericht hat das Urteil des Kantonsgerichts, das den zweiten Rekurs als unzulässig erklärte, aufgehoben und die Sache zur materiellen Beurteilung an das Kantonsgericht zurückgewiesen.