Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_488/2024 vom 5. Mai 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des bereitgestellten Bundesgerichts-Urteils 2C_488/2024 vom 5. Mai 2025:

1. Verfahrensbeteiligte und Gegenstand:

  • Beschwerdeführerin: A.__ (vertreten durch Anwalt)
  • Beschwerdegegner: Service des bourses et prêts d'études, Kanton Genf (Amt für Ausbildungsbeiträge)
  • Vorinstanz: Cour de justice des Kantons Genf, Chambre administrative (Verwaltungsgericht)
  • Gegenstand: Ausbildungsbeiträge (Stipendien und Darlehen) für das Schuljahr 2022-2023.

2. Sachverhalt (Relevant für die rechtliche Würdigung):

Die Beschwerdeführerin, geboren 2003, absolvierte nach einem Lehrabschluss eine Weiterbildung zur Erlangung der Berufsmaturität. Ihre Mutter heiratete im März 2022 D.__, den Stiefvater der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin beantragte Ausbildungsbeiträge für das Schuljahr 2022-2023. Der kantonale Dienst lehnte den Antrag ab, da die Einkommen der Familie, einschliesslich des Stiefvaters, ausreichend seien, um die Ausbildungskosten zu decken. Die Vorinstanz (Cour de justice) bestätigte diese Ablehnung.

3. Kernfrage des Rechtsstreits:

Die zentrale rechtliche Frage, die das Bundesgericht zu beurteilen hatte, war, ob die kantonale Behörde und die Vorinstanz zu Recht das Einkommen des Stiefvaters der Beschwerdeführerin bei der Prüfung ihres Anspruchs auf Ausbildungsbeiträge berücksichtigen durften und ob dies mit dem schweizerischen Bundesrecht, insbesondere dem Zivilgesetzbuch (ZGB), dem Legalitätsprinzip und dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist.

4. Prozessuales vor Bundesgericht (Nur die massgeblichen Punkte):

Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 83 lit. k BGG zulässig ist, da das Genfer Stipendiengesetz (LBPE/GE) einen Rechtsanspruch auf Ausbildungsbeiträge unter den gesetzlich festgelegten Voraussetzungen vorsieht und die Gewährung nicht im freien Ermessen der Behörde liegt. Eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde war folglich nicht zulässig. Das Bundesgericht stützt sich bei seiner Beurteilung auf die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG, da die Beschwerdeführerin keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung oder Rechtsverletzung im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG dargelegt hat. Das Gericht prüft das Bundesrecht frei (Art. 95 lit. a, c, e BGG), während kantonales und interkantonales Recht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV) oder anderer spezifisch gerügter Verfassungsrechte (Art. 106 Abs. 2 BGG) überprüft wird. Da die Beschwerdeführerin keine spezifische Verletzung des interkantonalen ARBE-Abkommens rügte, prüfte das Bundesgericht dessen Einhaltung nicht separat, konnte ihn aber zur Interpretation des kantonalen Rechts heranziehen.

5. Begründung des Bundesgerichts im Einzelnen:

Das Bundesgericht befasste sich der Reihe nach mit den von der Beschwerdeführerin erhobenen Rügen:

  • Rüge 1: Verletzung des Legalitätsprinzips (Art. 5 Abs. 1 BV) und der Gewaltenteilung:

    • Argument der Beschwerdeführerin: Das kantonale Recht (LBPE/GE und RPBPE/GE) sehe die Berücksichtigung des Einkommens des Stiefvaters nicht explizit vor. Die Vorinstanz habe somit ausserhalb des gesetzlichen Rahmens gehandelt und die Gewaltenteilung verletzt.
    • Analyse des Bundesgerichts:
      • Das Legalitätsprinzip verlangt, dass staatliches Handeln auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht. Die erforderliche Dichte der Gesetzesgrundlage ist im Bereich der Leistungsverwaltung, zu der Ausbildungsbeiträge gehören, geringer als bei Eingriffen in Grundrechte.
      • Eine Verletzung des Legalitätsprinzips in Bezug auf kantonales Recht wird vom Bundesgericht nur geprüft, wenn gleichzeitig eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) oder anderer Verfassungsrechte gerügt wird. Die Beschwerdeführerin rügte hier primär Willkür.
      • Das Bundesgericht räumt ein, dass die Begründung der Vorinstanz, Stiefeltern seien "gesetzlich unterhaltspflichtige Dritte" im Sinne von Art. 1 Abs. 2 LBPE/GE, rechtlich irreführend und kritisierbar sei. Gemäss Bundesrecht, insbesondere dem Zivilgesetzbuch (ZGB), haben Stiefeltern keine direkte gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern ihres Ehegatten (Art. 278 Abs. 2 ZGB). Das Bundesgericht hat dies bereits in Bezug auf andere kantonale Regelungen (Tessin, Freiburg) festgehalten (Verweis auf BGE 2C_209/2018 E. 4.3.1 und 2C_1181/2014 E. 3.3). Selbst die Genfer Ausführungsverordnung (Art. 1 Abs. 2 RPBPE/GE) präzisiert, dass sich die Unterhaltspflicht nur auf den Ehegatten oder eingetragenen Partner der Ausbildungsperson bezieht, nicht auf Stiefeltern.
      • Aber: Das Bundesgericht hält die Berücksichtigung des Einkommens des Stiefvaters dennoch für rechtlich haltbar und nicht willkürlich. Dies entspricht dem Willen des kantonalen Gesetzgebers, wie er sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, sowie dem Subsidiaritätsprinzip der staatlichen Ausbildungsbeiträge (Art. 1 Abs. 3 und 18 Abs. 1 LBPE/GE, Art. 3 ARBE).
      • Die Berechnungsvorschriften (Art. 19 Abs. 3 LBPE/GE, Art. 18 Abs. 1 lit. b ARBE) verlangen die Ermittlung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern, die grundsätzlich unterhaltspflichtig sind (Art. 277 ZGB). Diese Leistungsfähigkeit muss im Kontext der gesamten familiären Verhältnisse bewertet werden. Wenn ein Elternteil neu verheiratet ist, muss das Budget dieses Elternteils das Einkommen des neuen Ehegatten berücksichtigen. Der neue Ehegatte trägt nicht nur gemäss Art. 163 Abs. 1 ZGB zu den Haushaltskosten bei, sondern hat gemäss Art. 278 Abs. 2 ZGB seinen Ehegatten in angemessener Weise bei dessen Unterhaltspflicht gegenüber dessen vorehelichen Kindern zu unterstützen. Das Bundesgericht hat diese Logik bereits in früheren Entscheiden im Zusammenhang mit Ausbildungsbeiträgen angewendet (Verweis auf BGE 2C_209/2018 E. 4.3.2 und 2C_1181/2014 E. 3.4).
      • Die Berücksichtigung des Stiefvater-Einkommens ist somit implizit aus dem kantonalen Recht und dem Subsidiaritätsprinzip ableitbar und stellt keine willkürliche Rechtsanwendung dar, insbesondere angesichts der geringeren Anforderungen an die Gesetzesdichte im Leistungsverwaltungsrecht. Auch eine Verletzung der Gewaltenteilung liegt nicht vor, wenn die Vorinstanz das Gesetz auf eine rechtlich vertretbare Weise anwendet.
    • Schlussfolgerung BGer (Rüge 1): Keine Verletzung des Legalitätsprinzips oder der Gewaltenteilung.
  • Rüge 2: Verletzung des Bundesrechts (insb. Art. 278 Abs. 2 ZGB):

    • Argument der Beschwerdeführerin: Die Berücksichtigung des Stiefvater-Einkommens widerspreche dem ZGB, da dieses keine direkte Unterhaltspflicht des Stiefelternteils gegenüber dem Stiefkind vorsieht.
    • Analyse des Bundesgerichts:
      • Das Primat des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) hindert kantonales Recht daran, Bundesrecht zu umgehen oder dessen Sinn und Zweck zu widersprechen.
      • Art. 278 Abs. 2 ZGB verpflichtet den Ehegatten eines Elternteils nur, seinen Ehegatten in angemessener Weise bei der Erfüllung von dessen Unterhaltspflicht gegenüber den vorehelichen Kindern zu unterstützen. Eine direkte Unterhaltspflicht des Stiefelternteils besteht nicht.
      • Das Bundesgericht hat jedoch bereits mehrfach festgehalten, dass es nicht gegen Bundesrecht (einschliesslich Art. 278 Abs. 2 ZGB) verstösst, wenn kantonales öffentliches Recht (wie das Stipendienrecht oder das Recht auf Unterhaltsvorschüsse) das Einkommen des Stiefelternteils bei der Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils berücksichtigt (Verweis auf BGE 2C_209/2018 E. 4.3.2, 2C_1181/2014 E. 3.5 und sogar BGE 112 Ia 251 E. 3 betreffend Unterhaltsvorschüsse). Art. 6 Abs. 1 ZGB sieht vor, dass die zivilrechtlichen Bestimmungen des Bundes die Zuständigkeit der Kantone im öffentlichen Recht unberührt lassen.
      • Das Genfer Recht und das angefochtene Urteil verpflichten den Stiefvater nicht, die Ausbildung der Beschwerdeführerin zu finanzieren. Sie legen lediglich fest, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf staatliche Ausbildungsbeiträge hat, basierend auf der realen finanziellen Situation der Familie.
    • Schlussfolgerung BGer (Rüge 2): Keine Verletzung des Bundesrechts, insbesondere nicht von Art. 278 Abs. 2 ZGB.
  • Rüge 3: Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 8 Abs. 1 BV):

    • Argument der Beschwerdeführerin: Die Berücksichtigung des Einkommens des Stiefvaters führe zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Vergleich zu Auszubildenden in traditionellen Familienverhältnissen.
    • Analyse des Bundesgerichts:
      • Der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird, sofern dafür sachliche Gründe bestehen.
      • Das Bundesgericht hat diese Rüge im Zusammenhang mit der Berücksichtigung des Stiefelterneinkommens bei der Stipendienvergabe bereits mehrfach geprüft und verworfen (Verweis auf BGE 2C_209/2018 E. 5.2 und 2C_1181/2014 E. 5.3.1).
      • Der Grund für die Berücksichtigung des Stiefelterneinkommens liegt darin, die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils zu erfassen, die durch das Einkommen und den Beitrag des neuen Ehegatten zum Haushalt beeinflusst wird (und dessen Unterstützungspflicht gemäss Art. 278 Abs. 2 ZGB). Diese Methode stellt sicher, dass die Ausbildungsbeiträge basierend auf den realen wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gesuchsteller oder ihrer Eltern gewährt werden, was gerade der Gleichbehandlung dient.
      • Zusätzlich erwähnt das Bundesgericht, dass die Genfer Praxis bei der Budgetberechnung auch den Stiefelternteil als abhängige Person berücksichtigt (Verweis auf ATA/1243/2017 E. 10 der Cour de justice), was die Zulassung eines Stipendiengesuchs unter Umständen sogar begünstigen kann, wenn der Stiefelternteil eine finanzielle Last darstellt.
    • Schlussfolgerung BGer (Rüge 3): Keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.

6. Kosten und Prozesskostenhilfe:

Das Bundesgericht bewilligte der Beschwerdeführerin die beantragte Prozesskostenhilfe für das Bundesgerichtsverfahren, da ihre Mittellosigkeit ausgewiesen war und ihre Beschwerde aufgrund der Unklarheit des kantonalen Rechts und der kantonalen Rechtsprechung nicht als aussichtslos zu betrachten war. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. Die Prozesskostenhilfe beschränkt sich auf die Gerichtskosten und umfasst nicht die Kosten für den beigezogenen Anwalt. Dem Kanton Genf werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

7. Wesentliche Punkte in Kürze:

Das Bundesgericht hat im vorliegenden Fall entschieden, dass es rechtlich zulässig ist, das Einkommen des Stiefvaters bei der Berechnung des Anspruchs auf kantonale Ausbildungsbeiträge zu berücksichtigen, auch wenn das kantonale Recht dies nicht explizit vorsieht und Stiefeltern gemäss Bundesrecht keine direkte Unterhaltspflicht gegenüber ihren Stiefkindern haben. Diese Praxis verstösst nicht gegen das Legalitätsprinzip, da sie implizit aus dem Subsidiaritätsprinzip der staatlichen Ausbildungsbeiträge und den Berechnungsvorschriften für das elterliche Budget abgeleitet werden kann und im Bereich der Leistungsverwaltung eine geringere Gesetzesdichte zulässig ist. Ebenso wenig verletzt die Berücksichtigung des Stiefvater-Einkommens das Primat des Bundesrechts oder den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Berücksichtigung dient dazu, die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils im Rahmen seiner neuen familiären Verhältnisse zu ermitteln und so eine gleichmässige Vergabe von Ausbildungsbeiträgen basierend auf den realen wirtschaftlichen Möglichkeiten zu gewährleisten. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde daher abgewiesen.