Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_622/2024 vom 28. April 2025

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Hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 2C_622/2024 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 28. April 2025:

1. Einleitung

Das Bundesgericht befasste sich in diesem Urteil mit einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern. Streitgegenstand war ein staatshaftungsrechtlicher Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung, den der Beschwerdeführer wegen seiner angeblich fehlerhaften Unterbringung und Behandlung in einer Einrichtung des Massnahmenvollzugs (Massnahmenzentrum St. Johannsen) geltend machte. Das Verwaltungsgericht hatte den Anspruch abgewiesen, da es ihn als verjährt qualifizierte. Das Bundesgericht hatte primär zu prüfen, ob diese Beurteilung der Verjährung durch die Vorinstanz Bundesrecht oder das kantonale Willkürverbot verletzte.

2. Sachverhaltliche Ausgangslage

Der Beschwerdeführer wurde 2010 wegen Sexualdelikten verurteilt und eine stationäre Massnahme gemäss Art. 59 des Strafgesetzbuchs (StGB) angeordnet. Er trat die Massnahme im Massnahmenzentrum St. Johannsen (MZSJ) an. 2016 wurde er in das Vollzugszentrum Klosterfiechten (VZK) verlegt. Während seines Aufenthalts im MZSJ wurde bei ihm u.a. eine Kernpädophilie diagnostiziert. Im Rahmen des Vollzugs in VZK wurden frühere Diagnosen relativiert. Im August 2018 nahm die Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland eine Strafanzeige des Beschwerdeführers gegen MZSJ-Mitarbeitende wegen angeblicher Fehler im Therapieprozess nicht an die Hand; Rechtsmittel dagegen blieben erfolglos. Der Beschwerdeführer wurde im November 2018 bedingt aus dem stationären Vollzug entlassen.

Mit Eingaben von 2019 und 2021 machte der Beschwerdeführer gegenüber dem Kanton Bern (Polizei-/Sicherheitsdirektion) staatshaftungsrechtliche Ansprüche geltend, insbesondere für entgangenes Einkommen, fehlende Pensionskassenbeiträge und Weiterbildungskosten, resultierend aus der seiner Meinung nach fehlerhaften Behandlung im MZSJ. Die Sicherheitsdirektion und das Verwaltungsgericht wiesen die Begehren ab, da sie die Ansprüche als verjährt erachteten.

3. Rechtliche Beurteilung durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde grundsätzlich ein, da die Streitwertgrenze für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten überschritten ist. Nicht eingetreten wird auf unzureichend begründete Rügen, insbesondere jene bezüglich der Kostentragung im vorinstanzlichen Verfahren und unklare Verweise auf das VwVG. Das Bundesgericht prüft die Anwendung kantonalen Rechts, wozu die Verjährungsbestimmungen im vorliegenden Fall gehören (vgl. E. 5.1), nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV), sofern eine qualifizierte Rüge erhoben wird (Art. 106 Abs. 2 BGG).

3.1. Anwendbares Recht und Verjährungsfrage

Die Staatshaftung im Kanton Bern richtet sich nach den Art. 100 ff. des kantonalen Personalgesetzes (PG/BE), wobei das Obligationenrecht (OR) gemäss Art. 105 PG/BE als ergänzendes kantonales Recht gilt. Da das PG/BE keine spezifische Verjährungsregelung für Staatshaftungsansprüche enthält, kommt Art. 60 OR zur Anwendung (E. 5.1).

Das Bundesgericht prüft, ob die Vorinstanz zu Recht die Verjährung nach der bis Ende 2019 geltenden Fassung von Art. 60 OR (einjährige relative Frist) beurteilte oder ob das revidierte Recht (dreijährige relative Frist, in Kraft seit 1. Januar 2020) zur Anwendung gelangt wäre. Gemäss Art. 49 Abs. 1 SchlT ZGB gilt das neue Recht, wenn es eine längere Frist vorsieht und die Verjährung nach altem Recht noch nicht eingetreten ist. Die Vorinstanz ging davon aus, dass die Verjährung bereits vor dem 1. Januar 2020 eingetreten war.

3.2. Beginn der relativen Verjährungsfrist

Entscheidend ist der Beginn der relativen Verjährungsfrist gemäss Art. 60 Abs. 1 OR (alt und neu). Diese Frist beginnt zu laufen, sobald der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und vom Ersatzpflichtigen hat. Massgebend ist die Kenntnis der wesentlichen Elemente des Schadens, die es erlauben, den Schaden grob zu überblicken und das Begehren in den Grundzügen zu begründen (E. 5.7.1). Wenn der Schaden auf einem noch nicht abgeschlossenen Vorgang beruht, beginnt die Frist erst mit dessen Abschluss.

Die Vorinstanz stellte auf den Zeitpunkt ab, als der Beschwerdeführer Kenntnis vom Verlaufsbericht des Vollzugszentrums Klosterfiechten vom 31. August 2017 erhielt (spätestens am 15. September 2017). Dieser Bericht relativierte die im MZSJ gestellten Diagnosen (Kernpädophilie, hirnorganische Störung). Die Vorinstanz argumentierte, dass die Unterbringung im MZSJ als schädigende Handlung mit dem Übertritt nach Klosterfiechten (August 2016) endete und die für den Schaden (basierend auf fehlerhaften Diagnosen/Therapie) zentrale Relativierung der Diagnosen im Bericht vom 31. August 2017 festgehalten wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer die wesentlichen Merkmale des geltend gemachten Schadens gekannt (E. 5.7.3).

3.3. Beurteilung des Beginns der Frist unter Willkürgesichtspunkten

Das Bundesgericht prüft, ob diese Einschätzung des Beginns der Verjährungsfrist durch die Vorinstanz willkürlich war (E. 5.7). Es hält fest, dass die Ausführungen der Vorinstanz jedenfalls unter Willkürgesichtspunkten nicht zu beanstanden sind. Es sei vertretbar anzunehmen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Verlaufsberichts vom 31. August 2017 über die nötigen Informationen verfügte, um die Existenz und die zentralen Elemente des (mutmasslich) schädigenden Ereignisses (fehlerhafte Behandlung im MZSJ, basierend auf den dortigen Diagnosen, die später relativiert wurden) zu kennen und ein Haftungsbegehren in den Grundzügen zu begründen (E. 5.7.4). Das Bundesgericht betont, dass es für den Beginn der Frist auf die Möglichkeit des groben Überblicks über den Schaden ankommt, nicht auf dessen Beweisbarkeit.

3.4. Anwendung der einjährigen Frist und kein Verstoss gegen effektiven Rechtsschutz

Da die relative Verjährungsfrist von einem Jahr nach altem Recht (aArt. 60 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 105 PG/BE), beginnend spätestens am 15. September 2017, spätestens am 15. September 2018 abgelaufen war, gelangte das neue, längere Recht (dreijährige Frist) nicht zur Anwendung (E. 5.3 und 5.7.5). Die Staatshaftungsbegehren vom 11. September 2019 und 1. Februar 2021 wurden somit nach Ablauf der Frist geltend gemacht. Selbst wenn man die verjährungsauslösende Kenntnis erst auf die Strafanzeige vom 22. April 2018 ansetzen würde, wäre die einjährige Frist vor der Geltendmachung abgelaufen (E. 5.7.5).

Das Bundesgericht verweist zudem auf seine Rechtsprechung (BGE 148 I 145), wonach eine einjährige relative Verjährungsfrist im Staatshaftungsrecht nicht per se gegen den verfassungs- und konventionsrechtlichen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 29a BV, Art. 6 EMRK) verstösst. Einschränkungen des Rechtsschutzes müssen legitim sein und dürfen den Zugang zum Recht nicht übermässig erschweren, was bedeutet, dass der Beginn kurzer Fristen nicht zu streng gehandhabt werden darf. Die Handhabung im vorliegenden Fall wurde jedoch nicht als willkürlich befunden (E. 5.6 und 5.8).

3.5. Absolute Verjährungsfrist

Der Beschwerdeführer verlangte sinngemäss die Anwendung einer zehnjährigen (absoluten) Verjährungsfrist. Das Bundesgericht stellt klar, dass die absolute Frist nur relevant wird, wenn die relative Frist noch nicht abgelaufen ist. Da im vorliegenden Fall die relative Frist als abgelaufen betrachtet wurde (nicht willkürlich), war die absolute Frist nicht anwendbar (E. 5.5).

4. Ergebnis

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die Vorinstanz die staatshaftungsrechtliche Forderung des Beschwerdeführers nicht willkürlich als verjährt erachtete. Die Beschwerde ist daher unbegründet.

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, da die Beschwerde als aussichtslos eingestuft wird. Dem unterliegenden Beschwerdeführer werden reduzierte Gerichtskosten auferlegt.

5. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Der Staatshaftungsanspruch des Beschwerdeführers wegen angeblich fehlerhafter Behandlung im Massnahmenzentrum St. Johannsen wurde vom kantonalen Verwaltungsgericht und vom Bundesgericht wegen Verjährung abgewiesen.
  • Das anwendbare Verjährungsrecht ist Art. 60 OR in Verbindung mit kantonalem Recht (PG/BE). Da die Verjährung nach Ansicht der Vorinstanz vor Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts (2020) eintrat, wurde die frühere Fassung von Art. 60 OR (einjährige relative Frist) angewendet.
  • Die relative Verjährungsfrist beginnt, sobald der Geschädigte Kenntnis von den wesentlichen Elementen des Schadens hat.
  • Das Bundesgericht erachtete es nicht als willkürlich, den Beginn der Verjährungsfrist auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Verlaufsberichts vom 31. August 2017 festzulegen, da dieser Bericht die im MZSJ gestellten Diagnosen relativierte und dem Beschwerdeführer damit die Grundlage für seinen Schadenersatzanspruch (basierend auf angeblich fehlerhaften Diagnosen/Therapie) bekannt wurde.
  • Die Geltendmachung des Anspruchs erfolgte nach Ablauf der einjährigen relativen Verjährungsfrist. Die zehnjährige absolute Frist war nicht anwendbar.
  • Die einjährige relative Verjährungsfrist verstösst nicht per se gegen den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Die Anwendung der Frist im konkreten Fall wurde nicht als willkürlich befunden.
  • Die Beschwerde wurde abgewiesen, da die Verjährungseinrede als zu Recht erhoben betrachtet wurde.